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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Entwicklung hier vor Ort, in die ich unglücklicherweise hineingeraten bin, dringend ein paar meiner Bücher. Als Professor für Kulinaristik sehe ich mich dabei in der Verantwortung. Also, es geht, ich weiß nicht, wie ich das anders sagen soll, es geht um Mord.«
    »Mord?«
    »Mord.«
    »Wen haben Sie denn umgebracht?«
    »Ich? Noch niemanden! Aber das kann bald passieren. Und zwar Sie! Wie kann man denn nur so schwer von Kapee sein?«
    Der Professor legte auf. Ständig diese dummen Bemerkungen von Pit. Begriff er denn nicht den Ernst der Situation? War ihm Frankreichs Käsekultur etwa vollkommen schnuppe?
    Erst einige Minuten später, nachdem Bietigheim sich wieder beruhigt hatte, rief er erneut an.
    »Hören Sie: Wenn Sie mir helfen, werde ich noch einmal darüber hinwegsehen, dass Sie sich in meiner Wohnung breitgemacht haben. Widersprechen Sie nicht, Frau Putraczek hat es mir mitgeteilt! Sie glauben doch nicht etwa, dass ich meine Heimstatt ohne Absicherung in Ihre Hände gebe? Ich bin Professor, kein Idiot. Und nun packen Sie bitte sämtliche Literatur ein, die ich zum Themenkomplex Käse besitze, denn die Tote war eine Käserin, eine ganz fantastische noch dazu. Vacherin d'Epoigey, Pit, das müsste doch selbst Ihnen etwas sagen.« Er atmete durch. »Sie finden die entsprechenden Bücher im Blauen Salon, drittes Regal links vom Fenster. Nicht zu verfehlen. Und achten Sie bitte darauf, keines der Werke fallen zu lassen. Behandeln Sie sie wie rohe Eier. Oder um es in Ihrer Sprache zu sagen: wie Filetsteaks! Bringen Sie die Bücher dann zu mir. Ich wohne bei meinem Verwandten Jan Bietigheim, die Adresse steht in meinem güldenen Adressbuch neben dem Telefon.«
    »Ich soll die Bücher ins Burgund bringen?«
    »Jawohl.«
    »Nach Frankreich?«
    »Dort liegt es.«
    »Mit meinem Auto?«
    »Das wäre am vernünftigsten. So ginge es am schnellsten und Sie bekämen am meisten Bücher untergebracht.«
    »Von Hamburg aus?«
    »Ich wüsste nicht, wie Sie von Rio de Janeiro losfahren könnten.«
    »Wollte nur sichergehen.«
    »Wann gedenken Sie loszufahren?«
    »Sofort. Holen Sie schon mal das Bier aus dem Kühlschrank. Bin gleich da.«
    Pit legte auf. Es ging ab ins Burgund! Das passte ihm ganz wunderbar in den Kram, denn in Hamburg herrschte Taxi-Krieg. Ein Großunternehmer aus Quickborn hatte sich durch dubiose Kontakte mit den Stadtoberen Lizenzen erschlichen und machte jetzt mit seiner Flotte die besten Plätze unsicher. Der Bursche bestach im großen Maßstab Hotelportiers und Nachtclubbesitzer, damit sie seine Taxen bevorzugten. Pit hatte beschlossen zu streiken. Ein Ein-Mann-Streik – aber nichtsdestoweniger verbissen durchgeführt! Er war auf das Geld ohnehin nicht mehr angewiesen, sondern fuhr nur zum Spaß. Woher sein dickes Bankkonto rührte, hatte Pit dem Professor nie verraten. Und das, obwohl sie sich jetzt fast zehn Jahre kannten.
    Er hatte Bietigheim damals im Schanzenviertel kennengelernt, als dieser seine Studenten auf eine Exkursion »Ins Herz der Currywurst« führte. Die dritte Station hieß »Bei Schorsch«, und dort hatte der Professor sich verschluckt. So sehr, dass er keine Luft mehr bekam und alle entgeistert um ihn herumstanden. Alle außer Pit. Der griff dem Professor von hinten um den Bauch und führte beherzt das Heimlich-Manöver aus. Ein kräftiger Druck, und der tückische Wurstzipfel schoss aus der Luftröhre wie ein Maulwurf, den man mit Druckluft aus dem Bau bläst.
    Danach brachte Pit den völlig verstörten Professor nach Hause und setzte sich etwas zu ihm. Der Professor bemerkte erstaunt, was für ein Fleischexperte sein Lebensretter war. Es wurde ein sehr langer Abend, und obwohl die beiden beim »Sie« blieben, waren sie von diesem Abend an Freunde.
    Zuerst machte Pit sich daran, den Kühlschrank des Professors leerzuräumen und alles auf dem Beifahrersitz seiner Emma zu verstauen. Pit hatte sein Mercedes-E-Klasse-Taxi nach der guten, altmodischen Tender-Lokomotive von Jim Knopf, dem Lokomotivführer benannt. Alle seine Taxis hatten diesen Namen getragen, das aktuelle Modell war Emma die Viertel vor Zwölfte.
    Danach verfrachtete er die Käsebücher in den Kofferraum. Währenddessen lief in der Wohnung die ganze Zeit der Fernseher. Arte. Anderes empfing die Kiste nicht, wobei Pit es für möglich hielt, dass Bietigheim aus lauter Boshaftigkeit einen Techniker bezahlt hatte, um es für die Zeit der »Tour de Fromage« so einzurichten. Der Akademiker war zwar verschroben, aber auch

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