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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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ein verdammt cleverer Bursche. Pit mochte den alten Knaben sehr. Denn der Professor hatte ein gutes Herz – auch wenn er es meist nicht zeigte.
    Jetzt liefen die deutsch-französischen Kulturnachrichten, und sie brachten doch tatsächlich etwas über eine tote Käserin in einem kleinen Örtchen namens Epoigey. Das musste die Ermordete sein! Der Erzbischof von Clermont, das katholische Oberhaupt des Landes, hatte einen offenen Beileidsbrief geschrieben, und auch der Vatikan eine Stellungnahme angekündigt. Für eine einfache Käserin?
    Bestimmt wusste der Professor, was es damit auf sich hatte. Freudig wuchtete sich Pit hinters Steuer seiner Emma. Er liebte es, dort zu sitzen. Schon in jungen Jahren hatte er den Taxischein gemacht, um sich etwas dazuzuverdienen. Er genoss es, mit seinen Passagieren Schwätzchen zu halten und in den langen Wartepausen zu lesen. Und aus Letzteren bestand Taxifahren vor allem – es handelte sich eigentlich mehr um Taxistehen. Gutes Essen war dabei nie fern. Die Stadt kam ihm manchmal wie eine riesige Imbissbude vor, in der er sich jederzeit bedienen durfte.
    Als Pit sich Richtung A1 aufmachte, schaltete er das Taxameter ein. Er wollte rein interessehalber wissen, auf wie viel Geld er mit dieser Fahrt pfiff.
    Es gab ihm ein saugutes Gefühl.
    Bietigheim war ein Mann der Tat. Deshalb trat er nun in seinem Maßanzug vor die Tür, mit einer messerscharfen Bügelfalte in der Hose und frisch polierten, handgenähten Lederschuhen, um den Vorderreifen seines Fahrrades zu zerstechen. Es tat ihm leid, doch es führte kein Weg daran vorbei. Zischend strömte die Luft heraus.
    Danach ging er zu Jan, der im Keller der Höhle etwas über den Brand eines Bettenlagers in die Tasten haute. Erst nach einigem Murren erklärte er sich bereit, Bietigheim samt kaputtem Fahrrad nach Epoigey zu fahren. Er fragte nicht einmal, warum. Bietigheim war froh, dass Jan aus seinem Journalistenkerker emporstieg, Tageslicht sah und spürte, dass Sommer war. Und wie es Sommer war! Sogar noch mehr als am Tag zuvor. Die Straßen schimmerten in der heißen Luft wie Schlangen und die blassen Gelbtöne der Häuser erinnerten an frisch gebackenes Brot. Bietigheim genoss den Fahrtwind und grüßte freundlich jeden Radfahrer, den sie überholten.
    Auf seinen Wunsch hielt Jan etwas außerhalb von Epoigey. »Wann soll ich dich denn wieder abholen?«
    »Das wird nicht nötig sein. Ich radele zurück.«
    »Mit dem kaputten Rad?«
    »Das genau ist der Clou an der Sache!«
    »Cousine Maria hat immer schon gesagt, dass du etwas verschroben bist.«
    »Ich fasse das als Kompliment auf!«
    »Da Maria es gesagt hat, kannst du das ruhig.«
    Jan half dem Professor beim Ausladen des Fahrrads und brauste dann mitsamt Benno von Saber zu einem Fototermin mit der örtlichen Feuerwehr in Gevrey-Chambertin.
    Nun denn, dachte Bietigheim, fangen wir an! Er schob sein Rad zum Dorfplatz und klingelte am Haus neben der Käserei. Der Name Faiveley stand auf dem Briefkasten. Bevor die Tür geöffnet wurde, bewegte sich ein Fenstervorhang.
    »Na, das ging aber schnell«, begrüßte ihn die Frau an der Tür. Sie trug eine Kittelschürze und orangefarbene Gummihandschuhe. Irgendwie schaffte sie es, trotzdem elegant zu wirken. Französinnen, dachte Bietigheim, fabelhaft. »Kommen Sie, kommen Sie! Ich bringe Sie gleich hin.«
    »Ich bin hier wegen …« Doch sie war bereits in den Tiefen des Flurs verschwunden. Bietigheim folgte.
    »Weiß ich doch, ich habe ja selbst bei Ihrer Firma angerufen. So ein Unglück, sage ich Ihnen, und das gerade heute, wo wir morgen doch Besuch bekommen. Aus Paris! Aber es passiert ja immer zur falschen Zeit. So, da ist es.«
    Sie zeigte auf ein Waschbecken, das ganz offensichtlich nicht mehr ablief. Bis zum Rand stand das Wasser.
    »Mein Fahrrad …«, begann Bietigheim.
    »Das können Sie einfach draußen stehen lassen. So, nun aber ran! Ich muss jetzt auch weiterarbeiten, der Tag hat nur vierundzwanzig Stunden. Da geht schon der Wecker, die Wäsche ist fertig, das auch noch. Sie kommen zurecht? Ich bringe Ihnen gleich einen Kaffee.«
    Und weg war sie, elegant die geblümte Kittelschürze schwingend.
    Der eigentliche Plan Bietigheims war folgender gewesen: Nach einer Fahrradwerkstatt fragen und die Bewohner währenddessen in ein Gespräch über Madame Poincaré verwickeln. Nun musste er stattdessen klempnern. Diese Kunst beherrschte er zwar nicht, aber für einen klugen Menschen wie ihn sollte ein wenig Dreck in einem Rohr doch

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