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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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auf dem Handy angerufen und nach dir gefragt. Nein, das trifft es nicht ganz. Er hat gedroht, dich fertigzumachen, wenn du dich nicht da raushältst. Und wo er gerade in Fahrt war, hat er mir das Gleiche in Aussicht gestellt. Der Bürgermeister muss ihm kräftig Zunder gegeben haben. Ich sage dir, der Junge ist zwar dumm – aber die Dummen sind die Gefährlichsten.«
    »Setzt du mich jetzt vor die Tür?«
    Jan goss sich einen Armagnac ein und nippte lange am Glas. »Ich sage nur, dass du vorsichtig sein sollst. Wenn du deine Nase zu tief in die Sache hineinsteckst, hast du bald das ganze Dorf gegen dich.«
    Bietigheim goss sich ebenfalls einen Schluck ein und stieß mit ihm an. »Und du hast immerhin eine gute Geschichte.«
    Jan brachte ein Lächeln zustande. »Wenn du dann noch eine nette Frau für mich findest, die mit mir nach Paris zieht, ist mein Leben perfekt.«
    »Ich nehme auch eine«, rief Pit. »Ist mir egal, wo sie hinziehen will. Ich bin da völlig flexibel.«
    Der Professor holte seinen Strohhut vom Kleiderhaken und wandte sich an Jan. »Ich werde mich nun nach Dijon begeben. Wenn man nämlich wirklich etwas über Käsereien erfahren will, muss man mit denjenigen reden, die mit ihnen Handel treiben.«
    »Und ich«, verkündete Pit, »werde an meinem ersten Urlaubstag erst einmal die Beine hochlegen! Und etwas Wurst dabei vertilgen.«
    »Benno würde das sicher freuen«, sagte der Professor. »Aber wenn Sie schon unbedingt hierbleiben wollen, würde ich Sie gerne um einen weiteren Gefallen bitten. Könnten Sie sich für mich ein wenig durchfressen?«
    »Ja, ist denn schon Weihnachten?«
    »Jemand muss mit den Maîtres der umliegenden Spitzenrestaurants reden. Die tratschen gerne, und Käse ist sicher eines ihrer Lieblingsthemen. In je mehr Spitzenrestaurants Sie am Tag essen gehen, umso besser.«
    »Na, wenn es unbedingt sein muss …« Pit lächelte verschmitzt.
    »Aber ziehen Sie sich ordentlich an!«
    »Klar.«
    Bietigheim wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass ordentliche Kleidung für Pit bedeutete, den groben Dreck von den Stiefeln zu klopfen.
    Kopfschüttelnd trank Jan den restlichen Armagnac in einem Schluck aus. »Das ist eine Riesenschnapsidee, ich sag es ganz offen. Die lynchen euch, und bald baumelt ihr am höchsten Baum von Epoigey.«
    Bietigheim reckte das Kinn. »Ich lasse mich doch von ein paar Bauernlümmeln nicht ins Bockshorn jagen! Mit Hamburger Akkuratesse sammeln wir jetzt alle Informationen, die es zu Madame Poincaré gibt, und befragen wen und wann wir wollen. Wenn dann alle Hinweise auf dem Tisch liegen«, er schlug zur Demonstration auf das wackelige Exemplar vor ihm, »schnappen wir uns den Mörder, damit dieser armen Käserin Gerechtigkeit widerfährt. Und das Gute ist: Wir haben die ganzen Semesterferien Zeit!«
    Bietigheim bestand darauf, mit dem Fahrrad nach Dijon zu fahren. Mörderjagd, schön und gut, jedoch im angemessenen Tempo! Der Professor war sehr eigen, was Fortbewegungsmittel anging. Schiffe und Bahnen hatten seinen Segen, Autos und Busse waren notwendige Übel, doch Flugzeuge widersprachen fundamentalen physikalischen Gesetzen. So viel Tonnen Stahl sollten eigentlich schnurstracks auf den Boden stürzen, weshalb er auch nie eines dieser Teufelsdinger betreten würde. Hätte Gott gewollt, dass Menschen fliegen, hätte er ihnen Propeller wachsen lassen.
    Benno von Saber hatte es sich mit seiner Kuscheldecke im Korb bequem gemacht, und Bietigheim trug den Strohhut, obwohl der Himmel bedeckt war. Es fühlte sich einfach richtig an, außerdem schmeichelte die Krempe seinem Gesicht.
    Das Radeln entspannte den Professor, und er fand wieder zu der Souveränität zurück, für die er im Kollegium der Universität so gerühmt wurde. Dijon war seiner Stimmung ebenfalls zuträglich, denn er liebte die kleine Metropole des Burgunds, weil sie es schaffte, Stadt und doch auch Dorf zu sein.
    Es gab unzählige Käsehändler in Frankreich, doch nur sieben, die den Titel Maître fromager affineur tragen durften. Sie waren die Meister der kunstvollen Vollendung und Verfeinerung von Käselaiben. Hervé Picard war ein solcher Affineur, bereits in der dritten Generation. Sein Geschäft befand sich in der Rue Bannelier, nahe der prachtvollen, nach Pariser Vorbild erbauten Markthalle Dijons gelegen. In Bordeaux hatte er vor Kurzem eine Dependance eröffnet und für die France Soir schrieb er eine Käsekolumne. Moderne Affineure waren keine Gnome mehr, die ihr ganzes Leben im

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