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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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nannte es Einatmen. Dann ließ er die Küche mit leeren Tellern zurückgrüßen. Je schneller er diesen Krimskrams aß, umso rascher würden die richtigen Gänge aufgetragen werden. Währenddessen verwickelte er den Kellner in ein erstes Gespräch. Sein Französisch hatte Pit sich am Hamburger Flughafen angelesen, dort stand man immer so schön lang am Taxistand. Alles für eine Freundin aus der Normandie. Sie konnte kein Wort Deutsch – aber er nach zwei Jahren Französisch wie ein gebürtiger Normanne. Die Augen des Kellners zuckten immer häufiger in Richtung Küche. Doch Pit ließ ihn nicht aus den Fängen.
    Dann fielen die Franzosen ein.
    Großfamilien.
    Alter: von 1–99 Jahren, wie es auf Brettspielen immer stand. Sie waren bester Stimmung und sehr hungrig. Pit wusste, was dies bedeutete: Das Tempo der heranrauschenden Speisen würde sich deutlich verlangsamen. Und die Kellner hätten weniger Zeit für ihn.
    Nun hieß es schnell handeln, in die Küche gehen und ein bisschen Druck machen. Und vor allem prüfen, ob sich das Essen kriminaltechnisch lohnen würde. Denn er hatte heute schon in drei anderen Restaurants gegessen und jeweils zum Schluss feststellen müssen, dass weder der berühmte Käse kredenzt wurde, noch jemand etwas über Madame Poincaré wusste.
    Er wartete nicht, bis der Kellner außer Sichtweite war, sondern stampfte kurzerhand in die Küche, grüßte die vor Schreck erstarrten Köche und fand schnell den gläsernen Käsewagen. Was hatte sein Vater ihn gelehrt? Dreistigkeit siegt! Und tatsächlich: Der gesuchte Käse lag dort – zur leichteren Identifizierung hatte Bietigheim ihm einen Laib gezeigt. Pit hob ihn empor. Dann stand plötzlich der Mann mit der größten Kochmütze vor ihm und riss Pit den Käse aus der Hand. Der hagere Bursche mit Adleraugen überragte selbst den Rocker um einiges.
    »Was haben Sie hier zu schaffen? Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie die Toilette suchen?«
    »Ich wollte nur …«
    »In die Küche dürfen keine Gäste. Raus!«
    »Aber es geht um diesen …«
    »Raus habe ich gesagt. Das ist eine strenge Regel hier. Wo kommen Sie überhaupt her?«
    »Aus Russland. Sibirien. Zehn Jahre Gulag«, antwortete Pit todernst und grunzte. Der Koch blickte verwirrt, senkte dann die Stimme. »Das hier ist Sperrbereich.«
    »Ist das nicht der Käse der verstorbenen Madame Poincaré?«
    »Ist er, und jetzt gehen Sie bitte zurück an Ihren Tisch.«
    »Ich würde sehr gern mit Ihnen ein bisschen quatschen. Ihr Essen ist nämlich ganz großes Tennis. Pit ist übrigens mein Name.« Er reichte ihm seine Pranke.
    Zögerlich schlug der Koch ein. »Starker Händedruck. Sportler?«
    »Rugby.«
    »Ehrlich? Ich auch! Gedrängehalb.« Der Koch grinste.
    »Verbinder«, entgegnete Pit. Ein echter Kollege, spielte die Position neben ihm. Ein Bruder sozusagen.
    »Ich komme gleich an Ihren Tisch, Pit. In Ordnung?«
    »Alles klar! Mein Fleisch bitte blutig. Und viel. Ich hab nämlich Kohldampf.«
    Zurück am Tisch grinste Pit über das ganze Gesicht. Jetzt konnte er beruhigt essen. Und die Speisen kamen plötzlich richtig flott. Das Menü war famos, einfache Kost, aber mit frischen Zutaten und perfekt zubereitet. Immer wieder streichelte Pit stolz seinen Bauch, der sich heute weiter der perfekten Kugelform annäherte.
    Mitsamt dem Käsewagen erschien schließlich auch der Koch.
    »Ich hoffe, es hat dir geschmeckt?«
    »Wun-der-bar! So gut schmeckt es bei uns in Russland nicht.«
    »Tut mir leid wegen des kleinen Missverständnisses eben. Die Küche ist nun einmal mein Heiligtum.«
    »Vergessen und vergeben! Aber was ist denn jetzt mit dieser toten Käserin? Wird's denn jetzt überhaupt noch Vacherin d'Epoigey geben?«
    Der Koch setzte sich und nahm seine Toque ab. »Ich fürchte, nein.«
    »Und was wirst du jetzt machen? Ich mein wegen deiner Käseplatte?«
    Er zuckte mit den Schultern. Die mittlerweile ordentlich angeschickerten Familien redeten und lachten so laut, dass Pit sich vorlehnen musste, um die Antwort des Kochs zu verstehen.
    »Mehr anderen Käse kaufen. Vor allem den Thillon von Jean-François Vesnin. Wie die selige Madame Poincaré produziert auch er Fermier, die Rohmilch kommt also nur von eigenen Tieren. Viele andere Käse sind Artisanal, also handwerklich hergestellt, jedoch aus zugekaufter Milch, die zum Teil auch pasteurisiert sein darf. Die meisten Käse haben allerdings bloß Coopérative- oder Industriel-Qualität – das ist die Massenware. Fermier ist das

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