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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Picard.
    »Eine Woche muss er noch.«
    Der Affineur lachte auf. »Und Sie sind Deutscher ? Wie kann ein Deutscher so viel über Käse wissen?«
    »Und wie kann ein Franzose keinen Vacherin d'Epoigey von Madame Poincaré in seinem Geschäft führen?«
    Der Affineur wurde ernst. »Sie haben doch sicher von dem Todesfall gehört? Danach wurde alles aufgekauft.«
    »Es war kein Todesfall. Es war Mord. Sie wurde mit einem Messer im Rücken aufgefunden.«
    »Aber die Zeitungen …«
    Hervé Picard sah ihn ungläubig an, doch Bietigheims Gesichtsausdruck fegte jeden Zweifel hinweg.
    »Die Gendarmerie hält den Deckel drauf. Wegen des Käsefests in Epoigey. Ich war zufällig vor Ort.«
    Der Professor wusste, dass Studenten nur dann mit der Wahrheit herausrückten, wenn man sie überrumpelte. Vielleicht funktionierte diese Technik auch hier.
    »Wer könnte sie getötet haben?«
    Hervé Picard sah ihn entgeistert an.
    »Ein Affineur vielleicht?«, setzte Bietigheim nach.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Oder ein anderer Käser?«
    Sein Gegenüber stützte sich auf einen der langen Tische. »Die arme Madeleine. Das hat selbst sie nicht verdient.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Er blickte schuldbewusst auf. »Wir hatten unsere Differenzen. Aber nicht nur wir. Sie hat viele in den Wahnsinn getrieben. Zugesagte Lieferungen kamen nicht an, der Preis oder die Menge wurden nach Belieben von ihr geändert, je nach Madeleines Laune. Als Affineur bekommt man in solchen Fällen Probleme mit den Restaurants, die darauf zählen, dass man den berühmten Vacherin d'Epoigey für sie besorgt. Mehr als einem von uns ist dadurch ein Großauftrag entzogen worden. Das alles hat sie nie geschert.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Vor drei Monaten hat sie es dann auf die Spitze getrieben. Angeblich hatten ihr Bakterien die Produktion einer ganzen Woche verdorben. Ein Dungkäfer soll Listerien eingeschleppt haben, daran können Menschen sogar sterben. Und was macht Sie? Erhöht bei ihrer neuen Produktion gleich den Preis, um die Verluste auszugleichen. Sie müssen nicht denken, dass sie den je wieder gesenkt hat. Doch solch einen Tod wünscht man keinem. Nicht einmal seinem ärgsten Feind. Wo ist sie denn …?«
    »Im Reifekeller. Mit einem Käsemesser.«
    »Mon Dieu.«
    Bietigheim ließ dem Affineur Zeit, er sollte sich ruhig sammeln. Vielleicht gab er ja noch etwas Erhellendes von sich. In der Zwischenzeit schnupperte der Professor versonnen an den umliegenden Käsen. Hier würde er gerne einmal eine ganze Nacht verbringen! Was für eine Wonne.
    »Ich muss ganz dringend jemanden anrufen. Bin gleich wieder zurück, Professor.«
    Und weg war Hervé Picard.
    Und weg blieb er.
    Auch eine Viertelstunde später war er noch nicht zurückgekehrt.
    Als Bietigheim zur Tür des Reifekellers hochstieg, fand er diese fest verschlossen. Er klopfte und rief. Doch keine Reaktion.
    Dann ging das Licht aus.
    Und die Kälte glitt mit klammen Fingern an seinen Beinen empor.
    Pit schwitzte, als er das Le Chalet bleu in der Rue Jeannin in Autun betrat. Zum einen wegen der Hitze, zum anderen aus Vorfreude. Bei der Wahl dieses Restaurants hatte er sich ganz von persönlichen Vorlieben leiten lassen. Auf der riesigen, sich davor erstreckenden Place du Champ de Mars, hatten sich einst beim Viehmarkt die weißen Charolais-Rinder gedrängt, weswegen sich das Haus auf schmackhafte Rindfleischgerichte spezialisiert hatte. So liebte Pit die Traditionspflege! Auch das Interieur des Le Chalet bleu gefiel ihm auf Anhieb: gestärkte weiße Tischdecken, einladend große Korbstühle sowie ein großes, kitschiges Wandbild.
    Unruhig kam der Maître d'Hôtel zum Eingang geeilt, ganz offensichtlich der Ansicht, dass ein solcher Berg aus schwarzem Leder hier nicht hinpasse. Die Begrüßung des glatzköpfigen Riesen bestätigte ihn in seiner Vermutung.
    »Mein Name ist Pit – und ich futtere Ihnen heute die Bude leer!« Er zeigte die Scheine in seinem Portemonnaie. Der Maître d'Hôtel wies ihm einen Platz ganz hinten in der Ecke zu, neben der Küchentür. Doch Pit setzte sich einfach ans Fenster, nachdem der Livrierte entschwunden war.
    Er bestellte das neungängige »Menu Dégustation«. Immerhin musste er viel Zeit im Restaurant verbringen, um das Vertrauen der Belegschaft zu gewinnen. Außerdem bestand der vorletzte Gang aus »Les Fromages de Bourgogne et d'ailleurs«. Passte also wunderbar.
    Schnell kamen die Grüße aus der Küche, welche Pit mit einem Happs verschlang. Er

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