Die letzte Reifung
sich um Adalbert, und der sah Handys als Fluch der Moderne an. Wie fast alles, seit Erfindung der Dreifelderwirtschaft.
Jan blickte auf die Uhr. Er hatte noch etwas Zeit, bevor er um zehn in die Redaktion musste. Adalbert wollte doch einen Affineur in Dijon aufsuchen. Nur welchen?
Das war ungefähr so, als wollte man eine ganz bestimmte Currywurstbude in Berlin finden.
Na gut, nicht ganz so schwer. Aber er nahm zur Sicherheit Spürhund Benno mit.
Jan hatte stets das Gefühl, Dijon dufte nach Senf. Was natürlich Blödsinn war. Es duftete nach Lebkuchen. Obwohl weniger scharf als das gelbe Gold, hatte diese Spezialität die Mauern der Stadt mit ihren würzig-süßen Aromen durchtränkt. Köstlich.
Zurzeit roch Jan allerdings nur Käse, denn er stand vor dem Geschäft eines Affineurs in der Rue Bannelier. Es war geschlossen, nirgendwo brannte Licht. Und doch stand Adalbert Bietigheims Fahrrad angekettet davor. Es war nass vom Nieselregen, der in der Nacht gefallen war. Das sah ihm so überhaupt nicht ähnlich. Menschen wie er zogen immer eine Tüte über den Sattel, wenn sie ihren fahrbaren Untersatz länger alleine ließen. Aber vor allem ließen sie ihn nicht über Nacht draußen stehen.
Seit fünf Minuten stand Jan nun schon vor dem Laden, der ihm wie eines der Rätselbilder vorkam, bei denen man die Fehler finden muss. Irgendetwas stimmte nicht, doch Jan kam nicht darauf, was es war. Benno legte sich derweil zu einem kurzen Nickerchen auf den Bürgersteig. Der Terrier hatte die Suche also aufgegeben – und das würde er jetzt auch machen müssen. Adalbert würde schon wieder auftauchen, seinen albernen Strohhut an die Garderobe hängen und …
Strohhut.
Strohhut!
Da hing er. Drinnen. An der Garderobe. Dabei hielt Adalbert ihn so in Ehren. Nie würde er den Hut irgendwo vergessen. Jan suchte am Türrahmen nach einer Klingel. Gab es nicht. Stand denn irgendwo eine Notfall-Telefonnummer – für den Käse-Super-Gau in der heimischen Stube? Ebenfalls Fehlanzeige.
In diesem Straßenzug lebten viele alte Dijoner, man kannte sich seit Jahren und wusste, wer wann die Gardinen wusch. Deshalb klingelte Jan einfach beim Nachbarhaus. Eine Dame öffnete, die wie von einem verblichenen Foto einer längst vergangenen Epoche wirkte. Ihr Kragen war aus Spitze, ihre Frisur aus Beton. Sie wusste nichts, nein, überhaupt nichts, der Affineur sei ja eigentlich nicht von hier, aber trotzdem anständig, nein, heute käme er sicher nicht, das wisse sie genau, das Geschäft sei geschlossen, aber sonst wisse sie nichts. Aber vielleicht könne Martine weiterhelfen, die arbeite schließlich bei Monsieur Picard und wohne direkt gegenüber. Ob er auf einen Kaffee hereinkommen wolle?
Jan lehnte lächelnd ab. Ein andermal gerne. Sie strich ihm über die Wange. So ein hübscher junger Mann wie er solle nicht ohne Ehering am Finger herumlaufen, sonst könnten einige Frauen auf dumme Gedanken kommen …
Jan verabschiedete sich schnell.
Madame Martine war Gott sei Dank zu Hause. Sie war allerdings nicht ganz so entgegenkommend wie Hervé Picards Nachbarin. Kein Wunder, denn um ihre Haare war ein Handtuch gebunden, sie steckte im Bademantel und tropfte das Parkett nass.
Jan konnte gut mit Menschen, das hatte ihn zu einem erfolgreichen Journalisten werden lassen – bevor ihn die Liebe in die Provinz verschlug. Bei Madame Martine, das wusste Jan, hatte er nur eine Chance, wenn er die einzige ihm zur Verfügung stehende Waffe einsetzte: Benno von Saber. Denn hinter der frisch geduschten Dame des Hauses erspähte Jan das Geflecht eines Hundekorbes samt einer durchgelegenen Decke.
Er hob den kleinen Terrier empor.
»Schau traurig!«, flüsterte er ihm ins Ohr. Und Benno gehorchte tatsächlich – was allerdings auch daran liegen mochte, dass er es nicht leiden konnte, von jemand anderem als Adalbert Bietigheim hochgehoben zu werden.
Jan sah, dass seine List funktionierte.
»Oh, was hat denn der Kleine?«
»Wir haben seinen Lieblingsknochen in der Fromagerie von Monsieur Picard verloren. Es bricht ihm das Herz. Die ganze Nacht hat er geheult.« Benno heulte auf. »Alles habe ich versucht, um ihn zu trösten, aber nichts hat geholfen. Er frisst nicht mehr und ist schon ganz kraftlos.« Benno ließ sich hängen. Oder war das nur Einbildung?
»Reden Sie nicht weiter! Rettung naht. Hat Ihnen Clotilde gesagt, wo Sie mich finden? Bestimmt. Das Weib kehrt immer die Straße, auch wenn kein Staubkörnchen dort liegt. Nur um jemanden zum
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