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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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sie?«
    Jetzt erst nahm der Priester Bietigheim in Augenschein und trat aus dem Beichtstuhl. »Kennen wir uns?«
    Bietigheim streckte ihm die Hand entgegen. »Professor Dr. Dr. Adalbert Bietigheim, Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Kulinaristik, Universität Hamburg.«
    Der Priester beugte sich vor und schaute auf das Namensschild an Bietigheims Käserei-Montur. »Und jetzt arbeiten Sie bei Vesnin als«, er setzte seine Brille auf, »Praktikant?«
    »Aus Leidenschaft für den Käse. Wer war denn nun die junge Dame? Eine adrette Erscheinung.«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Stammt sie aus dem Ort?«
    »Ja. Béatrice ist hier aufgewachsen. Jetzt leitet sie das Weingut ihres Onkels in Nuits St. Georges. Domaine Henri Coche-Leflaive. Ein wunderschönes Herrenhaus, ganz viele alte Möbel. Ach, das hätte ich jetzt beinahe vergessen.« Er ging zurück zum Beichtstuhl und zog eine Flasche Wein aus seiner Kabine. »Sie bringt mir immer was mit. Ist eigentlich eine Gute.« Er streichelte die Flasche.
    »Eigentlich?«
    Der Priester ging nicht auf Bietigheims Nachfrage ein. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Gibt es Clochards hier in Epoigey?«
    »Warum fragen Sie?« Das pausbäckige Gesicht wurde plötzlich ganz ernst.
    »Beichtgeheimnis?«
    »Dann kommen Sie mit.«
    Kurze Zeit später fand sich Bietigheim im Beichtstuhl wieder.
    »Einen Augenblick noch«, bat der Priester.
    Bietigheim hörte, wie die Weinflasche geöffnet wurde und der Geistliche einen langen Schluck nahm. Die Trinkgeschwindigkeit ließ auf einige Routine schließen. Aber was den Professor noch mehr beeindruckte, war, dass der Priester ganz offenbar einen Korkenzieher dabeihatte.
    »Legen Sie los.«
    Und das tat Bietigheim. Die ganze Wahrheit über den Mord an Madame Poincaré. Der Dorfpfarrer musste währenddessen mehrmals tief Luft holen.
    »Hat die Frau, die soeben fortgelaufen ist, etwas damit zu tun? Ich kam nicht umhin, etwas ihrer Beichte mitzuhören. Das ist sonst nicht meine Art, ich bin Hamburger, wie ich bereits zu Beginn unseres Gespräches anmerkte, und wir Norddeutschen respektieren die Privatsphäre sehr. So bin ich erzogen worden.« Bietigheim wartete. »Vater?«
    Mit einem Ploppen verließ die Weinflasche wieder die Lippen. »Beichtgeheimnis.«
    »Auch bei Mord?«
    »Egal, bei welchem Verbrechen.«
    Bietigheim fand, dass er nun ein ausreichend gutes Verhältnis zum Priester aufgebaut hatte, um ihm eine direkte Frage stellen zu können. Außerdem musste dieser mittlerweile so viel intus haben, dass sein Sicherheitssystem heruntergefahren war.
    »Was glauben Sie denn, wer Madame Poincaré getötet hat? Wer könnte einen Grund gehabt haben? Ein Clochard?«
    »Ich habe in Epoigey weder einen Clochard gesehen noch von einem gehört. Ich wüsste auch nicht, warum einer von denen ihr was tun sollte. Aber ich will Ihnen gerne verraten, was ich glaube.«
    »Ich höre.«
    »Ich glaube … an Gott.« Ein trockenes Lachen war zu hören. »Und Sie sollten dem Bürgermeister vertrauen. Er weiß, was er tut.«
    »Warum sind Sie sich da so sicher?«
    Der Dorfpfarrer kam mit seinem Mund ganz nah an das hölzerne Gitter, das sie trennte.
    »Weil er mein Bruder ist.«
    Damit, dachte Bietigheim, war das Gespräch wohl beendet.
    Doch eine Frage musste er noch stellen. Vielleicht würde er wenigstens darauf eine vernünftige Antwort bekommen.
    »Wieso ist der Erzbischof hier? Madame Poincaré war nicht gläubig.«
    Das hatte zumindest der Junge aus der Nachbarschaft erzählt, als Bietigheim mit seinem kaputten Fahrrad hausieren gegangen war.
    »Sie sind ein sehr neugieriger Deutscher. Und Sie lassen nicht locker.«
    Bietigheim schwieg, er spürte die Antwort wie einen schweren Stein heranrollen.
    »Sie war schwach im Glauben, doch trotzdem großzügig zur Kirche. Ausgesprochen großzügig. Und so etwas vergisst die Kirche nicht.«
    Also Spenden. Aber warum nur? Wer nicht ans Himmelreich glaubt, versucht auch nicht, es sich zu erkaufen.
    Doch bevor Bietigheim nachhaken konnte, kam jemand hereingerannt und rief nach dem Pfarrer. Eine Frauenstimme, hysterisch.
    »Gérard ist zusammengebrochen. Ich glaube, er ist tot!«
    Pit wäre lieber in der Kühle der Nacht mit Emma durch Dijons Altstadt gesaust, um dort Clochards zu finden. Doch er musste die Strecke tagsüber und zu Fuß zurücklegen. Dabei war es elend heiß geworden, die feuchten Reste des morgendlichen Nieselregens verdampften in der Mittagshitze. Wäre er ein Clochard, hätte er sich jetzt ein

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