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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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erklomm, und ihr stockte der Atem.
    Grace konnte sich später nie an irgendwelche Einzelheiten dieses Nachmittags erinnern. Aber Gefühle und Bilder – die blieben ihr für den Rest ihres Lebens im Gedächtnis haften. Flaggen, die gelb auf grün im Wind flatterten. Sonnenlicht auf polierten Brustharnischen und Stahlhelmen. Pferde, die zur Musik ihrer silbernen Panzerung tänzelten. Weiße Jagdhunde mit schlammigen Pfoten. Adlige in Schwarz und Rot und Purpur. Die Laute der Hörner.
    Doch vor allem erinnerte sich Grace an die Königin.
    Ivalaine ritt heran, doch nicht in einer Sänfte, sondern auf einem kastanienbraunen Pferd. Ihr Gewand berührte beinahe den Boden und hatte die Farbe von Eis, genau wie ihre Augen. Sie war hochgewachsen, schön und majestätisch. Ihre einzige Krone war ihr Haar, so fein wie Flachs, in das Juwelen hineingeflochten waren. Aryn hatte recht gehabt. Selbst aus dieser Entfernung wußte Grace, daß sie noch nie eine schönere Frau als Ivalaine gesehen hatte.
    Alles in allem umfaßte die Reisegruppe der Königin mehr als fünfzig Reiter und hundert Männer zu Fuß, die Lasten trugen und Karren schoben.
    Grace pfiff leise. »Königinnen reisen nie mit leichtem Gepäck, was?«
    »Nein«, erwiderte Aryn. »Das tun sie nicht.«
    Ivalaines Troß hielt vor dem Schloßtor an, und eine Gruppe von König Boreas' Rittern ritt hinaus, um ihn zu empfangen. Willkommensgrüße wurden ausgetauscht, die Grace dort oben allerdings nicht verstehen konnte. Dann ertönten die Hörner, und die lange Reihe aus Pferden und Karren bewegte sich in das Tor hinein.
    Die Menge auf der Mauer fing an, sich aufzulösen, jemand zog an Graces Ärmel.
    »Komm, Grace. Laß uns gehen.«
    Grace legte eine Hand an die Schläfe. Ihr Kopf brummte noch immer von dem Hörnerschall. »Was?«
    »Es gibt nichts mehr zu sehen. Und es wird kalt. Ich schwöre dir, wenn ich nicht wüßte, daß es laut Kalender Mitte Sindath ist, würde ich sagen, wir hätten heute Wintersonnenwende.«
    Grace nahm die Worte der Baronesse kaum wahr. Sie konnte den Blick nicht von der Straße unterhalb des Schlosses nehmen, obwohl sie mittlerweile menschenleer war. Sie war sich nicht sicher, woran es lag, aber irgendwie fühlte sie sich anders. Was hatte sie eben noch gedacht? Es hatte etwas mit der königlichen Begleitmannschaft zu tun, mit der Art und Weise, wie die Königin so stolz vornweg geritten war.
    »Grace?«
    Sie löste mühsam den Blick. »Ja, natürlich. Es tut mir leid, Aryn, laß uns gehen.«
    Die Baronesse sah sie mit gerunzelter Stirn an, dann zuckte sie mit den Schultern und ging die Mauer entlang. Grace folgte ihr. Sie hatten gerade die Tür zu ihrem Gemach erreicht, als Grace wieder einfiel, was sie beim Anblick der auf das Schloß zureitenden Königin gedacht hatte.
    Das da sollte ich sein.
    Nein. Das war unmöglich. Sie erschauderte, verdrängte den Gedanken aus ihrem Kopf und schloß die Tür.

58
    In den nächsten Tagen fühlte sich Grace in Calaveres Mauern gefangener denn je. Ivalaines Ankunft hatte das gesamte Schloß, in dem schon zuvor alles geschäftig umherhastete, in fiebrige Aktivität gestürzt. Nicht alle Angehörigen der königlichen Reisegruppe waren in der gebührenden Form im Schloß untergebracht worden, was verständlich war; da man noch fünf weitere Herrscher erwartete, wäre Calavere bei dem Versuch, sie mitsamt ihren Höflingen, ihrem Gefolge und ihren Dienern aufzunehmen, aus allen Nähten geplatzt. Die Mehrheit der Neuankömmlinge blieb in der Stadt unterhalb des Schlosses. Trotzdem hatten Aryn, Lord Alerain und der Rest der Schloßbewohner genug zu tun, um Ivalaine und ihren engsten Hofstaat in ihren Gemächern unterzubringen.
    Es war merkwürdig, aber je beschäftigter jeder im Schloß wurde, desto weniger hatte Grace zu tun. Am zweiten Morgen nach Königin Ivalaines Ankunft ertappte sie sich dabei, wie sie über den feinen Wollumhang strich, den Aryn ihr gegeben hatte. Zuvor war die Außenwelt hauptsächlich wegen der Eiseskälte und ihres Wunsches, nicht an Lungenentzündung zu sterben, für sie tabu gewesen. Der Umhang hatte jedoch alles geändert.
    Sie hob ihn auf. Sie hätte fragen sollen, das war ihr klar. Aber Alerain würde zu beschäftigt sein, und es bestand nicht die geringste Chance, bis zum König vorzustoßen. Davon abgesehen hatte ihr niemand gesagt, daß sie es nicht durfte, und war sie nicht schließlich eine Herzogin?
    Grace, du rationalisierst.
    Aber das war ihr egal. Ihr war langweilig, und

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