Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
Kopf.
Das Grinsen wurde noch breiter. »Aber Ihr werdet ihn köstlich finden. Da sind seltene Gewürze aus dem geheimnisvollen Süden drin, aus Al-Amún auf der anderen Seite des Sommermeers.«
»Ich sollte das nicht tun«, sagte sie.
»Und warum nicht, Euer Hoheit? Verdient Ihr nicht auch wie die anderen etwas Süßes und Gutes?«
Grace wollte etwas erwidern, fand aber nicht die richtigen Worte. Wie kam König Boreas nur darauf, daß sie Mitgliedern anderer Königshäuser ihre Geheimnisse entlocken könnte? Sie konnte ja nicht mal mit einem Untertan sprechen.
Er hielt ihr den Kuchen noch ein Stück näher hin. »Hier, Euer Hoheit. Nehmt ihn.«
Sie zögerte. Machte er ihr ein Geschenk? Oder gaben die Kaufleute auf dem Markt Adligen oft Proben ihrer Waren, in der Hoffnung, ihre Schirmherrschaft zu erringen? Vermutlich traf das letztere eher zu. Aber auf jeden Fall würde es eine Beleidigung sein, wenn sie ihn nicht annahm.
Grace streckte die Hand aus und nahm den Kuchen. Er fühlte sich warm an. Ein kräftiger Duft ging von ihm aus, der große Ähnlichkeit mit Zimt und Muskatnuß hatte, aber trotzdem anders war. Sie führte den Kuchen zum Mund und nahm einen kleinen Bissen. Dann nahm sie noch einen und den nächsten, bis der Kuchen aufgegessen war.
Der Mann strahlte zufrieden. »Hat er Euch geschmeckt, Euer Hoheit?«
Grace nickte. »Ja, sogar sehr. Danke.« Und sie drehte sich um und ging.
Eine schwielige Hand schloß sich um ihr Handgelenk und riß sie herum. Sie stöhnte auf.
»Nicht so schnell, kleine Schwester. Die Kuchen kosten das Stück einen Silberpfennig.« Der Ausdruck des Mannes war nicht länger freundlich. Seine kleinen, schwarzen Augen blickten wie glühende Steine.
Sie schüttelte den Kopf. »Einen Silberpfennig? Aber ich dachte … ich dachte, Ihr hättet ihn mir geschenkt.«
Er ließ ihr Handgelenk nicht los. »Dir geschenkt? Kleine Schwester, warum sollte ich dir einen Kuchen schenken?«
Sie befeuchtete ihre Lippen. »Weil … weil ich eine Herzogin bin.« Jetzt, wo sie es sagte, klang es absolut lächerlich.
Er lachte rauh. »Na klar, Euer Hoheit, aber sicher. Und ich bin Herzog, also werden wir uns prächtig verstehen. Wenn du mir das Geld gibst.«
Sie starrte ihn an, und dann begriff sie. Euer Hoheit. Kleine Schwester. Er hielt sie überhaupt nicht für die Angehörige eines Königshauses – es war bloß eine spöttische Anrede gewesen, nichts weiter. Er hatte ihr den Kuchen nicht geschenkt, sondern erwartet, daß sie ihn bezahlte.
»Es tut mir so leid«, sagte sie. »Ich … Das war mir nicht klar. Ich habe kein Geld. Aber ich bin sicher, daß ich welches besorgen kann, wenn Ihr mich ins Schloß gehen laßt.«
»Kleine Schwester, du gehst nirgendwo hin, nicht bevor ich mein Geld habe.« Sein Atem war süß und stinkend, eine Mischung aus Gewürzen und Verfall.
»Aber ich sagte Euch doch gerade, ich habe kein …«
Die Schnelligkeit seiner Handlung lähmte sie genauso sehr wie der Aufprall. Er wirbelte sie herum und stieß sie mit dem Rücken gegen eine Steinwand. Die Luft wurde ihr mit einem übelkeiterregenden Zischen aus den Lungen getrieben.
»Also bist du eine Diebin?« sagte er. »Weißt du, was wir hier mit Dieben machen, Euer Hoheit? Wir schneiden ihnen die Hände ab, damit sie nicht wieder stehlen können.«
Er verstärkte den Griff um ihre Taille, und sie fühlte, wie ihre Knochen knirschten. Leute gingen vorbei, als würden sie nicht sehen, was dort geschah – oder als wäre es ihnen egal. Der Mann lächelte wieder – und das war schrecklicher als zuvor seine Wut.
»Schon in Ordnung, kleine Schwester.« Seine Stimme senkte sich zu einem Schmachten. »Ich bin ein gerechter Bursche. Wenn du kein Geld hast, weiß ich eine andere Möglichkeit, wie du zahlen kannst.«
Er stieß sie mit seinem Körper gegen die Mauer. Rauhes Steinwerk grub sich in ihren Rücken. Von dem nur wenige Schritte entfernten Ofen strömte die Hitze in atemraubenden Wellen aus. Er tatschte mit einer Hand den Umhang ab, während er mit der anderen nach unten griff, um seine fleckige Hose zu öffnen.
Grace versteifte sich. Furcht und Schmerz machten Wut Platz. Ihr Verstand nahm eine schreckliche Klarheit an.
Nein. Das habe ich geschworen. Nie wieder.
Sie richtete ihre grün-goldenen Augen auf ihn und fing seinen Blick ein. Er zögerte, und sein lüsternes Grinsen wich Verblüffung.
Nie wieder!
Es geschah zu schnell, als daß man es hätte sehen können. In dem einen Augenblick
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