Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
Vom Netzwerk:
zerbarst. Ein schriller Laut durchschnitt die Luft, wie Trockeneis auf Metall. Von Furcht getrieben rannte Travis gebückt durch den Tunnel. Sekunden später endete der Gang in einer Sackgasse. Einen panikerfüllten Augenblick lang glaubte er gefangen zu sein, dann stießen seine in der Dunkelheit tastenden Finger auf Holzsprossen. Er kletterte die Leiter hoch, stieß eine Falltür auf und fand sich in einem überfüllten Gartenschuppen wieder. Er stolperte durch die Tür in die kalte Nacht hinaus.
    In einer Entfernung von neun Metern erhob sich das Antiquitätengeschäft. Hinter den Fenstern flackerte eine Helligkeit, die so heiß und grell wie ein brennender Magnesiumstreifen war. Travis machte einen taumelnden Schritt auf das Haus zu. In diesem Augenblick explodierte jedes Geschäftsfenster mit einem sprühenden Glasregen nach außen. Die Schockwelle traf Travis wie ein Donnerschlag, warf ihn zu Boden und trieb ihm schmerzhaft die Luft aus den Lungen.
    Er biß die Zähne zusammen und kämpfte sich wieder auf die Füße. Die Flammen, die jetzt aus den Fenstern schlugen, waren rot und orangefarben. Das war Feuer, echtes Feuer. Das Haus würde niederbrennen.
    Travis flüsterte nur ein Wort. »Jack …«
    Dann drehte er sich um und lief in die Nacht.

6
    Nördlich der Stadt stand die Reklametafel im Mondlicht. Der Highway lag verlassen da, ein stummer Fluß aus schwarzem Asphalt, der die Gebirgslandschaft durchschnitt. Die Nacht war still. Sterne funkelten am purpurschwarzen Himmel und unterstützten den Mond mit ihrem Licht. Irgendwo heulte ein Kojote ein trauriges Lied, das einem Zuhörer von kaltem, fließendem Wasser, alten zerbrochenen Knochen und einsamen Bergen, die sich bis ans Ende der Welt erstreckten, erzählt hätte. Nur daß niemand da war.
    Der Mond streifte die scharfe Linie des Horizonts. Das war der Augenblick, in dem es begann. Ein blauer Lichtfunken tanzte über die Reklametafel. Der Funken brannte aus und verwandelte sich in ein Stück Dunkelheit. Ein weiterer Funken hüpfte über die Holzwand. Bevor auch er verglühte, gesellte sich ein weiterer hinzu, gefolgt vom nächsten und übernächsten. Nur Momente später erstrahlte die gesamte Reklametafel von einem blauen Leuchten überzogen.
    Ein leises Summen erfüllte die Luft. Als das Geräusch lauter wurde, schälte sich ein Streifen der verblichenen Zigarettenreklame von der Holzfläche und fiel zu Boden. Die Funken drängten sich wie Glühwürmchen um die Ränder des von dem alten Papier hinterlassenen Lochs. In ihren saphirblauen Glanz getaucht, trat ein Stück des darunterliegenden Bildes in den Vordergrund – das juwelenähnliche Fragment einer wilden Landschaft.
    Winzigen blinzelnden Augen gleich strömten die Funken in alle Richtungen. Weitere Papierstreifen rollten sich eng zusammen, fielen zu Boden und enthüllten das darunter befindliche, lange Zeit verborgene Bild.

7
    In der Notaufnahme hatte man Grace Beckett oftmals versichert, sie habe die Realität fest im Griff.
    Falls man damit zum Ausdruck bringen wollten, daß Grace, ohne mit der Wimper zu zucken, glühende Autoschrapnellsplitter aus der Brust eines schreienden Motorradfahrers ziehen konnte, daß sie an einer siebzehnjährigen, von einer aus einem vorbeifahrenden Auto abgeschossenen Salve getöteten Mutter einen Kaiserschnitt durchführen und trotzdem über die perfekt geformten kleinen Füße der Frühgeburt lächeln konnte, daß man sie aus dem Fernsehzimmer rufen konnte, um das ältere Opfer einer Fahrerflucht wiederzubeleben, und sie vor Ablauf der Werbeunterbrechung wieder zurück war … falls das damit gemeint war, dann hatten alle durchaus recht damit. Grace war gut. Sie wußte, daß sie gut war, und sie wußte es ohne jede Arroganz oder Herablassung. Es war einfach eine Tatsache. Jeder hatte ein Talent, eine Fähigkeit – etwas, das er schon beim ersten Versuch besser konnte als die meisten anderen Leute nach jahrelanger Praxis –, und dies war eben ihr Talent. Grace konnte verletzte Menschen wieder zusammenflicken.
    Sie wußte immer, wann ein Ansturm kam.
    Natürlich waren da all die gewöhnlichen Anzeichen, die selbst ein Assistenzarzt im ersten Jahr kannte – Vollmond, ein steigendes Barometer, ein heißer Freitagabend im Juni. Aber selbst wenn diese Anzeichen fehlten, wenn die Stadt vor sich hin döste und es den ganzen Tag nicht mehr als einen verstauchten Daumen gegeben hatte, irgendwie konnte sie fühlen, daß es geschehen würde, es war wie ein Prickeln

Weitere Kostenlose Bücher