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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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auf ihrer Haut. Und selbst wenn die anderen in dem glattgebohnerten Korridor Besenhockey spielten – ein Spiel, dem sie in diesen seltenen Leerlaufzeiten frönten –, zog sich Grace ein Paar Latexhandschuhe über und stellte sich erwartungsvoll vor die automatische Schiebetür.
    Die Türhälften glitten mit einem Zischen auf. Dann waren sie da und strömten in die Notaufnahme des Denver Memorial Hospital; man hatte sie aus einem umgestürzten Bus oder einem brennenden Hotel oder einer Massenkarambolage von zwanzig Autos auf dem Highway herausgeholt. Und während sich die anderen beeilten, sich Stethoskope und Krankenhaushemden zu schnappen, bewegte sich Grace bereits zwischen den Verletzten, den von Panik Erfüllten und den Toten, linderte mit präzisen Handhabungen Schmerzen und Ängste. Ein paar Angehörige des medizinischen Personals verwechselten diese kühle und konzentrierte Effizienz mit Reserviertheit, aber Grace hatte sich nie die Mühe gemacht, sie zu korrigieren. Sie war nicht hier, um Freundschaften zu schließen.
    Doch manchmal, in der stillen Stunde, die immer gegen vier Uhr morgens eintrat, wenn alles auf der Welt zu schlafen schien und es in der Notaufnahme so still wie in einer Gruft wurde, saß Grace in einem gerade nicht benutzten Rollstuhl, mit einem Plastikbecher voller dunkelbeigem Kaffee in der Hand, den der dunkelbeige Kaffeeautomat in einem störrischen Rinnsal ausgeschenkt hatte. Dann dachte sie darüber nach, daß die Leute unrecht hatten, auf eine schreckliche, absolute und brüllend komische Weise unrecht, und daß eigentlich genau das Gegenteil zutraf. Grace hatte die Realität nicht fest im Griff.
    Die Realität hatte sie fest im Griff.
    Schußwunden, zerquetschte Körper, verbrannte Kinder … Trotz ihrer Bemühungen, jeden Vorfall als klar, einzigartig und tragisch zu betrachten, verschwammen sie unweigerlich zu einem endlosen Flickenteppich des Leidens. Für jedes Loch, das sie schloß – jeden zerschmetterten Knochen, den sie richtete, jedes Herz, das sie mit Stromstößen und Herzmassagen und Überredungskunst wieder zum Schlagen brachte –, kam das nächste, das seinen Platz einnahm.
    Doch in all ihren Rollstuhlgrübeleien gab es nicht die geringste Vorahnung, die Grace vor den seltsamen Geschehnissen gewarnt hätte, in die sie in dieser samtigen Herbstnacht verstrickt werden sollte. Nicht, daß das etwas geändert hätte. Denn egal, wer wen im Griff hatte, das Resultat wäre am Ende dasselbe gewesen.
    Grace Becketts Realität sollte sich in Wohlgefallen auflösen.

8
    Grace sah zu, wie zwei Assistenzärzte die Trage durch den amtsgrün gestrichenen Korridor rollten. Eines der Räder stand schief und ratterte wie ein alter Einkaufswagen. Keiner der beiden jungen Männer mit den unverbrauchten Gesichtern schien es zu bemerken. Aufzugtüren glitten zur Seite, und einen Augenblick später waren die Assistenzärzte mitsamt Trage und Patient – dem Opfer eines Wohnhausbrandes – verschwunden. Grace lehnte sich gegen die Wand und drückte die Wange an die kühlen Kacheln. Die Schwingtüren von Traumaraum Eins schwangen hinter ihr auf und zu wie die erlahmten Flügel eines alten Vogels. Einen herrlichen Moment lang schloß sie die Augen, dann zwang sie sie wieder auf. Sie pflückte sich den sterilen Papierkittel vom Leib, zerknüllte ihn zu einer Kugel und warf ihn in einen Sammelbehälter, wo er auf das reinigende Feuer des Verbrennungsofens warten konnte. Nach einem tiefen Atemzug ging sie auf die Aufnahme zu, um sich zu ihrem nächsten Unfallopfer zu begeben. Der Tag war noch nicht vorbei, noch lange nicht.
    Sie suchte sich ihren Weg durch das antiseptische Labyrinth aus Korridoren, vorbei an farbkodierten Untersuchungsräumen und düsteren Nischen, in denen medizinisches Notfallbesteck außerirdischen Ungeheuern gleich nur darauf wartete, den menschlichen Körpern in ihren metallischen Klauen die lebenswichtigen Flüssigkeiten auszusaugen. Rollstühle und Tragen säumten die Gänge, zusammen mit einer zufälligen Ansammlung von Patienten. Bei den meisten von ihnen handelte es sich um gelangweilte Flüchtlinge von den Stationen – um jene, die mit ihren Sauerstoffflaschen und Infusionsbestecken im Schlepptau aus ihren Zimmern gehen, hinken oder fahren konnten und neugierig auf Entdeckungsreise gingen, vielleicht auf der Suche nach einem Ort, wo man verstohlen eine Zigarette rauchen konnte.
    Grace änderte kurz die Richtung und stieß die Tür zur Damentoilette auf. Sie

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