Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
er.
Jacks buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was meinst du?«
Travis streckte die Hand nach der oberen linken Türecke aus, und seine Finger strichen über das in die Farbe eingeritzte Zeichen. Es war das gleiche Symbol, das er auf dem Eingang des Saloons und den anderen Türen der Stadt gesehen hatte. Allerdings gab es hier einen Unterschied; man hatte ein X daruntergemalt.
Jack betrachtete die Kratzer, und seine blauen Augen weiteten sich sofort. »Oje«, flüsterte er. »Das ist nicht gut. Das ist ganz und gar nicht gut.«
Travis blickte seinen Freund erstaunt an. »Du weißt, was dieses Symbol bedeutet, nicht wahr?«
Jack strich mit zitternden Fingern über die Kratzer. »Das ist das Zeichen ihrer Diener. Ich hätte nicht gedacht, daß sie schon so nahe sind, noch nicht. Aber wenn ihre Diener hier gewesen sind, können sie nicht weit sein.«
Travis schüttelte verwirrt den Kopf, aber bevor er etwas sagen konnte, riß ein blau-weißer Lichtstrahl die Nacht entzwei. Travis hob die Hand, um die Augen zu beschatten. Das Licht erinnerte an den Suchscheinwerfer eines Polizeihubschraubers, doch es lag viel zu tief und wurde bis auf das Murmeln des Windes von keinerlei Geräusch begleitet. Was auch immer die Quelle dieses Lichts darstellte, sie kam auf das Antiquitätengeschäft zu. Und zwar schnell.
»Travis, geh rein.« Jacks Tonfall war leise und drängend.
»Was ist das?« Travis blinzelte in das Licht. Er glaubte darin Bewegungen zu erkennen – große Silhouetten, die rücklings von der grellen Helligkeit angestrahlt wurden.
Jacks Stimme nahm einen strengen Kommandoton an. »Sofort, Travis!«
Diesmal sparte sich Travis jede Frage. Er stolperte rückwärts in das Geschäft. Jack eilte hinter ihm her, knallte die Tür zu und schob den Riegel vor. Er schloß die Vorhänge der mit Eisenstäben geschützten Ladenfenster, und der Raum wurde in Dämmerlicht getaucht. Nur ein rasierklingenschmaler Strahl weißen Lichts fand seinen Weg durch den Spalt zwischen den Vorhängen; er zerschlitzte das Halbdunkel wie ein weißglühendes Messer.
Travis fühlte Unbehagen in sich aufsteigen. »Das sind sie, nicht wahr? Die Leute, die hinter dir her sind.« Jack stritt es nicht ab. Travis brauchte keine weitere Bestätigung. Sein Unbehagen steigerte sich zu ausgesprochener Panik.
»Travis, beruhige dich«, warnte Jack mit einem strengen Blick.
»Ich will mich aber nicht beruhigen«, flüsterte er. »Jetzt ist definitiv keine Zeit für Ruhe.«
»Ganz im Gegenteil, es gibt keinen besseren Zeitpunkt für Ruhe, als wenn man in Gefahr ist.«
Jack ging zu einem altmodischen Schriftsetzerpult, öffnete eine Schublade und holte einen in schwarze Seide eingewickelten Gegenstand hervor. Er schlug den Stoff beiseite und enthüllte ein schmales, gefährlich aussehendes Stilett. Ein blutroter Edelstein bildete den Abschluß des stählernen Griffs. Er hielt Travis das Messer hin.
»Nimm das hier, nur für den Fall.«
Travis hielt die Waffe, als hätte man ihm gerade eine lebende Schlange in die Hand gedrückt. Doch Jacks Stirnrunzeln hielt ihn davon ab, sie fallen zu lassen. In seinem ganzen Leben hatte Travis noch nie eine Waffe besessen. Das Stilett fühlte sich in seiner Hand kühl und unbehaglich elegant an. Er schob es sich unter den Gürtel. So mußte er es wenigstens nicht halten.
»Für welchen Fall?« fragte er krächzend.
Jack ignorierte die Frage. »Folge mir«, flüsterte er und suchte sich einen Weg zwischen dem chaotischen Durcheinander des Ladens.
Travis folgte ihm, blieb dann aber wie erstarrt stehen. Ein elektrisches Summen zerschnitt die Stille, unter der Ladentür blitzte ein greller Lichtstrahl auf. Der Türknopf drehte sich mit bedrohlicher Gemächlichkeit, erst nach rechts, dann nach links, dann wieder nach rechts. An Travis' Hüfte wurde es plötzlich warm. Der in das Stilett eingelassene Edelstein leuchtete blutrot.
»Travis, komm her!«
Jack stand neben der offenen Tür, die in den Keller des Geschäfts führte, aber Travis konnte kein Glied rühren. Sein Blick fixierte die Eingangstür. Ein schmaler Strahl eiskalten Lichts schoß durch das Schlüsselloch. Der Türknopf drehte sich immer schneller hin und her, bis er in seiner Fassung klapperte, dann hörte das Klappern wie abgeschnitten auf. Nur einen Augenblick später erzitterte die ganze Tür mit einem lauten Dröhnen. Eine lange Pause trat ein, der ein zweiter Schlag folgte.
»Travis!«
Jacks Brüllen riß Travis aus seiner Lähmung.
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