Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
hatte, dafür sein lebendiges Herz einzutauschen. Beinahe hätte sie für ihn Mitleid empfunden. Beinahe. Denn was es auch einst Trauriges und Bemitleidenswertes in ihm gegeben haben mochte, man hatte es herausgeschnitten und durch einen Klumpen Eisen ersetzt. Detective Douglas L. Janson war bereits tot, und Grace wußte nur zu gut, daß es eine Verschwendung war, Mitleid für die Toten zu empfinden.
Sie hielt die Pistole mit der einen Hand und nahm mit der anderen eine Handvoll Papiertücher von dem Stapel neben der Kaffeemaschine. Sie zerknüllte sie zu einer Kugel, dann befahl sie Janson, den Mund zu öffnen; mit der auf der linken Schläfe aufgesetzten Pistolenmündung verlieh sie dem Befehl Nachdruck. Er gehorchte. Sie stopfte ihm das Papier in den Mund. Sein gedämpfter Protestschrei bewies, daß der Knebel funktionierte. Es war Zeit.
Sie beugte sich vor. »Sag deinem kostbaren Herrn, wer auch immer das sein soll«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »er soll es sich lieber zweimal überlegen, bevor er sich mit mir anlegt.«
Grace begab sich zur Tür und schob die Pistole in die tiefe Hosentasche. Sie öffnete die Tür und blickte in beide Richtungen. Der Korridor lag verlassen da. Sie trat hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Mit klopfendem Herzen setzte sie sich in Bewegung. Sie ging schnell, aber wiederum auch nicht so schnell, daß sie Verdacht erregte. Mit etwas Glück würden ein paar Minuten verstreichen, bevor man Janson entdeckte, außerdem hatte Jansons Vorgesetzter ihre Freilassung genehmigt. Man würde damit rechnen, daß sie das Revier verließ. Sie mußte bloß die Ruhe bewahren.
Sie bog um eine Ecke und stieß mit einer jungen Polizistin zusammen. Grace stotterte eine Entschuldigung, davon überzeugt, daß die Frau die Pistole bemerkt haben mußte, die sie in der Hosentasche umklammerte. Aber die uniformierte Beamtin lächelte bloß, sagte, es sei nichts geschehen, und ging weiter. Grace passierte mehrere andere Polizisten, und sie bildete sich ein, daß einige sie mit mehr als nur herkömmlichem Interesse anblickten. Ein schrecklicher Gedanke schoß ihr durch den Kopf. Vielleicht war Janson nicht das einzige Eisenherz im Revier, vielleicht gab es noch mehr von der Sorte. Je länger sie darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher war die Annahme, daß er der einzige war. Sie zwang sich zu einer ausdruckslosen Miene und ging weiter.
Der Korridor führte zu dem Hauptbüro des Reviers. Der Lärm und das Chaos ließen Grace zuerst zusammenzucken. Ein Dutzend erschöpft aussehende Polizeibeamte saßen an mit Papieren überladenen Schreibtischen, wo sie Anrufe entgegennahmen, streitlustige Verdächtige verhörten oder sich bemühten, verängstigte Opfer zu beruhigen. Andere Beamte eilten umher in dem Bestreben, die Flut der mutmaßlichen Täter in Bewegung zu halten. Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns begriff Grace, daß das Durcheinander ihr die benötigte Ablenkung verschaffte. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menschenmasse, und keiner schenkte ihr auch nur einen zweiten Blick. Sie stieß die Eingangstür auf und trat in die Nacht hinaus. Die Luft klärte ihren Kopf. Sie stieg die Stufen hinunter und ging die Straße entlang. Sie würde es schaffen.
Hinter ihr brüllte ein Motor auf. Grace fuhr mit neu erwachter Furcht herum und sah einen Wagen auf sich zurasen. Reifen quietschten, als er keinen halben Meter neben ihr zum Stehen kam. Es war kein Streifenwagen, sondern eine schnittige schwarze Limousine. Bevor sie sich zur Flucht entscheiden konnte, öffnete sich die Fahrertür, und ein Mann stieg aus. Das Mondlicht enthüllte die elegante Gestalt Hadrian Farrs. Er deutete auf die offene Autotür.
»Steigen Sie ein, Dr. Beckett.«
Sie starrte ihn mit vor Erstaunen offenem Mund an, und wieder beantwortete Farr ihre unausgesprochene Frage.
»Man hat Detective Janson entdeckt. In diesem Augenblick informiert er seine Kollegen über das, was Sie getan haben und daß Sie entkommen sind. Sie werden jeden Moment die Verfolgung aufnehmen.«
Bestürzt schüttelte sie den Kopf. »Aber woher wissen Sie …«
Farr hob die Hand. »Bitte, Dr. Beckett, wir haben keine Zeit.« Seine kultivierte Stimme war so höflich wie immer, aber in ihr lag auch ein befehlender Unterton, der sie überraschte und sie zwang, ihm zuzuhören. »Sie müssen meinen Wagen nehmen. Verlassen Sie die Stadt, egal in welche Richtung. Sie werden Ihnen nicht folgen können.«
»Aber was ist mit Janson?«
Sein Blick
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