Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
die Stirn. »Darf ich das mal sehen?«
Mit einem Schulterzucken gab Travis ihm die Münze. Der Barde untersuchte sie aufmerksam, dann schüttelte er den Kopf.
»Kethar ul-morag kai ennal«, sagte er. »Sil falath im donnemir.«
Die Worte, die dem Barden aus dem Mund strömten, waren melodisch und wunderschön, aber völlig unverständlich.
Travis sah Falken verwirrt an. »Was hast du gesagt?«
Nun schaute Falken verwirrt drein. »Min uroth, kethar ul-morag kai ennal.« Er gab Travis die Münze zurück. »Wie ich sagte, solltest du sie behalten. Aus welchem Land sie auch stammt, sie ist sehr alt. Und hör auf zu nuscheln, Travis, ich habe nicht ein Wort von dem verstanden, was du gesagt hast.«
Travis starrte die zerbrochene Münze an, die auf seiner Handfläche funkelte. »Da warst du nicht der einzige«, erwiderte er. Dann erklärte er schnell, was geschehen war.
Ein paar weitere Experimente bestätigten Travis' Verdacht. Hielt er die Münze in der Hand oder befand sie sich irgendwo an seiner Person, konnte er Falken perfekt verstehen, so wie der Barde ihn. Stand Travis jedoch nicht in Kontakt mit der Münze, konnte keiner auch nur ein Wort des anderen verstehen. Es gab nur eine Antwort. Falken sprach gar kein Englisch – eine Tatsache, die vollkommen logisch war, jetzt wo Travis darüber nachdachte. Schließlich handelte es sich hier um eine völlig andere Welt. Doch die halbierte Münze, die Bruder Cy ihm gegeben hatte, funktionierte als eine Art Übersetzungsgerät und erlaubte es Travis, Falkens Sprache zu verstehen und zu sprechen, obwohl es ihm dabei so vorkam, als würde er noch immer Englisch sprechen.
Falken schaute nachdenklich drein. »Anscheinend war dein Freund Graystone in deinem Castle City nicht der einzige Zauberer. Sag, hast du noch ein paar Überraschungen für mich?«
Travis lächelte dünn. »Nur solche, die auch mich überraschen werden.«
Der Barde sah ihn fragend an, dann stand er auf. »Komm«, sagte er. »Der Tag schwindet dahin. Wenn wir uns ranhalten, erreichen wir Kelcior noch vor Einbruch der Nacht.« Er warf sich den Rucksack über die Schulter und wandte sich auf der Straße nach Süden; Travis folgte ihm.
»Und warum heißt sie denn nun Königinnenpfad?« fragte Travis, nachdem sie einige Zeit gegangen waren.
»Das ist eine alte Geschichte«, erwiderte Falken. »Diese Straße wurde vor tausend Jahren gebaut, in den Jahren, nachdem König Ulther von Toringarth das Heer des Fahlen Königs besiegte. Königinnenpfad heißt sie wegen Elsara, der Herrscherin des weit im Süden liegenden Tarras. Aber das wissen die Leute heute nicht mehr. Sie gab den Befehl, eine Straße zu bauen, die von Tarras an der Küste des Sommermeeres bis zu dem damals neu gegründeten Königreich Malachor im Norden führen sollte, wo ihr Sohn an der Seite von Ulthers Tochter auf dem Thron saß. Aber diese Namen sind alle in Vergessenheit geraten.«
»Warum?«
Falken blieb stehen, bückte sich und hob mit seiner behandschuhten Hand eine Prise Staub auf. »Malachor ging unter, und das tarrasische Reich verfiel. Seine Grenzen wichen immer weiter nach Süden und ließen nur Barbarenland zurück, bis Jahrhunderte später die Domänen gegründet wurden. Von ihnen allen besteht allein Toringarth bis zum heutigen Tag, obwohl man von diesem eisigen Land jenseits des Meeres nur wenig hört. Königreiche steigen auf und stürzen wieder, Travis.« Die Erde rieselte durch die Finger des Barden und war verschwunden. »Das ist einfach der Fluß der Geschichte.«
Falken setzte sich wieder in Bewegung. Er fing an, mit klarer Stimme zu singen, und Travis fühlte, wie sein Blut in Wallung geriet, denn es kam ihm so vor, als könnte er die große Schlacht sehen, die der Barde mit seinem Lied heraufbeschwor.
»Mit Fellring, dem Schwert aus Elfenschmieden,
durchbohrte Ulther des Fahlen Königs Herz …
Die magische Klinge brach entzwei,
aber Berash blieb am Boden liegen.
Dann schritten die Runenmeister ins Tal hinab,
das Tor von Imbrifale zu bannen …
Auch die Hexen mit ihrer Zauberkunst
webten Bollwerke voll finstrer Gefahren.
Lord Ulther kniete vor der Königin,
und sie schlossen einen Pakt …
Sie begründeten die Wacht von Malachor,
auf daß die Schatten nie wieder an Macht gewannen.«
Der Nachmittag neigte sich seinem Ende entgegen, und das Sonnenlicht nahm eine goldene Farbe an, als sie in einem kleinen Wäldchen zu einer Kreuzung kamen. Zwischen den blätterlosen Bäumen traf eine schmale Straße im
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