Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
Junge, machst du den Stall ganz allein sauber – und ohne Mistgabel, versteht sich!«
»Ja, Lord Alerain«, antwortete eine jugendliche und reuige Stimme.
Eine Gestalt trat aus dem Schatten des Stalls. Es war ein schmaler, steifer Mann, der die besten Jahre schon hinter sich gelassen hatte. Sein weißes Haar war kurz geschnitten; ein sauber zurechtgestutzter Bart schmückte ein spitzes Kinn. Seine Kleidung war kostbar und bescheiden zugleich, alles nur in schwarzen und kastanienbraunen Tönen gehalten; der Umhang wurde am Hals von einer einfachen, wenn auch recht großen goldenen Brosche gehalten. Er war eine eindrucksvolle Erscheinung, gleichzeitig hatte er aber auch etwas Großväterliches an sich. Vielleicht lag es an dem gedankenverlorenen Blick seiner wäßrigen blauen Augen. Er ging in Richtung Bergfried, einen Ausdruck der Entschlossenheit auf dem Gesicht.
»Entschuldigt, Lord Alerain«, sagte Durge.
Der Seneschall blickte auf, suchte nach der Quelle der Stimme, sah sie und kam auf sie zu. Er musterte den Ritter und schien dann eine Entscheidung zu treffen. »Der Graf von Steinspalter, nehme ich an?« fragte er in einem formellen Tonfall.
»Ihr nehmt richtig an«, erwiderte Durge.
Ein Lächeln durchbrach Alerains strenge Miene. »Dann habe ich nicht alle meine Fertigkeiten verloren. Ich freue mich, Euch zu sehen, Mylord. Ihr seht Eurem Vater sehr ähnlich, möge Vathris ihn beschützen.« Er schüttelte dem Ritter die Hand. »Anscheinend trifft Embarr als erstes Ratsmitglied ein. Ist König Sorrin weit hinter Euch?«
»Mindestens vierzehn Tage, Mylord. Allerdings würde es mich nicht überraschen, wenn seine Reisegruppe von Banditen, lahmenden Pferden oder eingestürzten Brücken aufgehalten wird.«
Alerain runzelte die Stirn. Aber dank seiner buschigen Augenbrauen sah er dabei nicht besonders grimmig aus. »Ihr Embarraner! Alle immer solche Schwarzseher, erwarten immer nur das Schlechteste. Ich bin sicher, daß König Sorrin wohlbehalten ankommt.«
Durge zuckte mit den Schultern. »Wenn Ihr es sagt, Mylord.«
Der Seneschall verdrehte die Augen, enthielt sich aber eines Kommentars. Er sah Grace an, die noch immer von Kopf bis Fuß in die Decke eingewickelt war. »Sagt mir, Mylord, wer ist Eure Begleiterin?«
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, Lord Alerain.« Durge blickte Grace ernst an. »Ich habe sie halb erfroren im Schnee gefunden, in den Ausläufern des Dämmerwaldes.«
Alerain warf dem Ritter einen scharfen Blick zu. »Ihr habt Euch in den Dämmerwald gewagt?« Der Seneschall schüttelte den Kopf. »Ihr seid ein tapferer Mann, Ritter. Oder, Ihr mögt es mir verzeihen, ein dummer. Ihr hättet genauso verlorengehen können wie dieses arme Mädchen hier.« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Nun, was haben wir denn hier?«
Grace öffnete den Mund, aber Alerain schnalzte mit der Zunge, um sie zum Schweigen zu bringen. »Keine Angst, mein Kind. Wir werden dich sofort aus dieser feuchten Decke holen und dich in etwas Warmes stecken. Du wirst noch genug Gelegenheit haben, uns deinen Namen zu sagen, nachdem du dich an einem Feuer aufgewärmt hast.« Er streckte die Hand nach ihr aus.
Grace zögerte. Aber es konnte nicht schaden, wenn sie wartete, bis sie wieder warm und trocken war, bevor sie anfing, Fragen darüber zu stellen, wo genau sie war. Sie streckte die Hand aus, um die Hand des Seneschalls zu ergreifen. Als sie die Decke losließ, rutschte sie von ihrem Gesicht weg zurück auf ihre Schultern.
Alerain sog zischend die Luft ein. »Aber, Mylord!« sagte er zu Durge. »Warum habt Ihr mir nicht gesagt, wer Eure Begleiterin ist?«
Der Seneschall ließ sich sofort auf dem schlammigen Boden vor dem Stall auf ein Knie sinken. Grace warf Durge einen überraschten Blick zu. Der Ritter nickte bloß, als hätte sich ein bloßer Verdacht, den er gehegt hatte, gerade bestätigt. Dann kniete auch er vor ihr nieder.
Grace sah den beiden Männern verwirrt zu. Was ging hier vor? Wie um auf ihre Frage zu antworten, senkte Alerain den Kopf und sprach in einem rituellen Tonfall.
»Willkommen auf Calavere, Eure Hoheit. Wie können wir Euch dienen?«
28
Die Tür schloß sich hinter Grace, und sie war allein in dem zugigen Schlafgemach. Draußen verhallten die Schritte in der Ferne, als die beiden Dienerinnen, die sie durch die labyrinthartigen Gänge des Schlosses geführt hatten, sich zurückzogen. Sie atmete tief aus.
»Was würde eine Prinzessin in dieser Situation tun, Grace?«
Sie zog
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