Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
feuchten Kleider vom Leib und stapelte sie neben dem Kamin auf. Dann stieg sie einfach in die Wanne, ohne vorher die Temperatur zu testen.
Sie keuchte auf. Das Wasser war atemberaubend und köstlich heiß. Krämpfe erfaßten ihren Körper, ihre Haut stach schmerzhaft. Sie zwang sich dazu, eingetaucht zu bleiben. Das gewalttätige Zittern ließ nach, und die Nadelstiche verwandelten sich in ein angenehmes Kribbeln. Schließlich sickerte die Hitze in ihr ausgekühltes Inneres, und das Zittern hörte ganz auf. Sie stieß einen überschwenglichen Seufzer aus und ließ sich tiefer ins Wasser gleiten, während ihre steifen Muskeln dahinschmolzen.
Dann war die Zeit zum Waschen gekommen, und sie griff nach dem Klumpen Seife. Sie war fettig und weich, und sie roch leicht ranzig. Aber sie war so lindernd wie eine Salbe, als Grace damit ihre Haut einseifte. Sie streute die getrockneten Kräuter und Blumen ins Wasser, und ein süßer Duft stieg in die Höhe, der den unangenehmen Geruch der Seife maskierte, was offensichtlich auch der Zweck sein sollte.
Danach lehnte sich Grace zurück, ließ sich durchweichen und döste eine Zeitlang. Irgendwann fing das Wasser an abzukühlen. Seufzend stieg sie aus der Wanne und rieb sich im Schein des Feuers ab. Bald war sie trocken und warm. Und, wie ihr bewußt wurde, auch ziemlich nackt. Sie musterte die auf dem Boden liegenden Kleidungsstücke. Sie dampften nun, waren aber noch immer triefend naß.
Sie sah sich in dem Gemach um, und ihr Blick fiel auf einen hohen Kabinettschrank, der in einer Ecke stand. Sie riß seine Türen auf, und ihr ursprünglicher Verdacht fand sich bestätigt. Es handelte sich um einen Kleiderschrank. Darin hingen mehrere Kleider, von denen jedes eine andere Farbe aufwies, die aber alle aus weicher Wolle gefertigt waren. Auf einer darüber befindlichen Ablage lag zusammengefaltet eine Art von Unterwäsche aus ungefärbtem Leinen. Alles schien in etwa in ihrer Größe zu sein. Zweifellos hatte man diese Dinge vor ihrem Eintreffen in das Gemach geschafft, zusammen mit der Badewanne. Grace musterte die seltsamen Kleider kritisch. Nichts davon entsprach genau ihrem Stil – für sie waren Baumwollhosen und Bluse so ziemlich das Äußerste an Schick –, aber vermutlich verdrängte Notwendigkeit die Mode.
Die Unterwäsche war noch ohne weiteres zu begreifen. Sie war weich und wies eine große Ähnlichkeit mit einem Paar langer Unterhosen auf. Sie schlüpfte hinein und wollte nach einem der Kleider greifen, aber in diesem Augenblick schlug eine Welle der Müdigkeit über ihr zusammen. Nach der schrecklichen Qual im Wald und der Wärme des Bades war sie völlig erschöpft. Ihr Blick wanderte zu dem gewaltigen Bett, und sofort konnte sie nur noch an Schlaf denken. Sie stieg auf die Fußbank, warf sich auf das Bett und seufzte, als sie in seiner allesumfassenden Weichheit versank. Einfach nur schlafen.
Dann dachte sie eine Zeitlang an nichts mehr von dem, was ihr widerfahren war. Sie dachte nicht an den Mann mit dem Herzen aus Eisen oder Hadrian Farr oder Bruder Cy. Sie dachte nicht an diese seltsame Welt oder wie weit sie von der Erde entfernt sein mochte. Sie dachte nicht einmal mehr an das Krankenhaus oder den endlosen Verletztenstrom, der durch den Eingang der Notaufnahme strömte.
Graces letzte bewußte Handlung bestand darin, sich unter der schweren Bettdecke zu vergraben. Dann schloß sie die Augen und versank in einen tiefen und friedlichen Schlaf, in dem sie an gar nichts mehr dachte.
29
Travis und Falken erreichten die alte Festung genau in dem Augenblick, in dem die Sonne hinter den Talrand sank und sich die Farbe des Sees von Kupfer in Schiefer verwandelte.
»Sollen wir nachsehen, ob jemand zu Hause ist?« meinte der Barde. Seine rechte Hand tastete nach dem Messer am Gürtel und strafte seinen unbeschwerten Tonfall Lügen. Für diese Botschaft benötigte Travis kein magisches Übersetzungsgerät. Er schluckte schwer und umklammerte den Griff seines Stiletts. Falken ballte die schwarz behandschuhte Hand zur Faust und pochte dreimal an das Tor, das aus einer riesigen Platte verschrammten Holzes bestand.
Ein schabendes Geräusch ertönte. Dann öffnete sich das Tor quietschend einen Spaltbreit – gerade weit genug, um ein einzelnes, hervorquellendes Auge zu enthüllen. Der blutunterlaufene Augapfel rollte hin und her, dann konzentrierte er sich auf die beiden Männer.
»Wer ist da?« fragte eine krächzende Stimme.
Falken antwortete in einem
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