Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
riechen.« Mit diesen Worten stieg der Barde auf die erste Stufe.
»Ich grüße Euch, Kel, König von Kelcior!« verkündete Falken mit laut hallender Stimme.
Der König blickte auf, und seine blauen Augen wurden kreisrund. Das Fleisch rutschte ihm aus der Hand und fiel auf den Tisch. Als wäre das ihr Stichwort, verstummte die ganze Halle. Krieger hörten mitten in der Prügelei auf, Mägde ergriffen Tabletts so fest, daß ihre Knöchel weiß anliefen, und Tiermänner kauerten sich unter den Tischen zusammen, wo sie gemeinsam mit den verängstigten Hunden wimmerten.
30
»Falken Schwarzhand!« König Kels Stimme glich einem Knurren. »Ich hätte nicht erwartet, dein trauriges Gesicht jemals wieder in meiner Halle zu sehen. Zumindest nicht so bald. Bist du gekommen, um mir die nächste Katastrophe anzukündigen? Wir haben gerade die Toten der letzten begraben.«
Falken griff sich ans Herz in einer Geste vorgetäuschter Bestürzung. »Dann ist der Nordwachturm also umgestürzt?«
König Kel stieß seinen Stuhl zurück und stampfte um die Hohe Tafel herum, um sich vor Falken aufzubauen. »Aye, er ist umgestürzt! Genau wie du es vorhergesagt hast, und zwar nur wenige Stunden nachdem du, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten, wie es sich gehört, aus meinem Königreich verschwunden bist, du Schuft. Dabei wurde mein bester Jagdhund getötet.« Kel wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ach ja, ein paar Dutzend Angehörige meines Hofes hat es auch erwischt.«
»Ich habe Euch gewarnt, daß das Fundament des Turms baufällig ist.«
Kel grunzte mißtrauisch. »Aye, das hast du, Falken Schwarzhand. Anscheinend warnst du immer vor Katastrophen, und anscheinend hast du immer recht.« Er sah den Barden finster an. »Man könnte durchaus auf die Idee kommen, daß dir üble Geschehnisse folgen oder – nur vielleicht – deine Hand im Spiel ist, damit sich deine Warnungen als wahr erweisen.«
Die Anschuldigung rief ein Zischen hervor, das durch die Halle hallte. Kel war nicht der einzige, der so dachte.
Falken spreizte die Arme, bat um Ruhe und schaffte es irgendwie, sie sogar zu bekommen. »Es stimmt, daß ich Euch oftmals vor drohendem Unheil gewarnt habe, Euer Majestät. Und hättet Ihr auf meine Warnungen gehört, wäre nur geringer Schaden entstanden. Wie dem auch sei, es erfüllt mich mit Trauer, daß Ihr all die anderen Vorhersagen Falken Schwarzhands vergessen habt – diejenigen, die Euch Glück statt Unglück brachten.«
Falken betrat das Podium. Seine Stimme hob sich, als handele es sich hier um eine Art Vorstellung. Travis hielt den Atem an. Vielleicht war es das auch, eine Vorstellung, die, falls sie nicht überzeugend genug war, ihre Köpfe kosten würde.
»Wer hat Euch verraten, wo Ihr im See nach den verlorenen Schätzen von Tarras suchen mußtet?« fragte Falken. »Wer hat Euch gesagt, wo Ihr nach Salz graben müßt, als Ihr keines für Eure Tafel hattet? Und wer hat Euch drei Tage lang ohne Ruhe oder Rast Boradis' Heldenlied in seiner ganzen Länge vorgesungen, nur damit Ihr immer wieder die Verse hören konntet, in denen der Drache das Heer frißt?«
Die Augen des Königs funkelten. »Ich liebe diesen Teil!«
Falken fixierte Kel mit einem scharfen Blick. »Wer hat all diese Dinge getan?«
Der König dehnte seine gewaltige Brust und stieß einen Seufzer aus. »Das warst du, Falken.«
Falken verschränkte die Arme und nickte.
Kel kratzte sich nachdenklich das haarige Kinn, dann schnippte er mit den dicken Fingern. »Ich weiß! Ich werde meine Ratgeberin fragen, was ich tun soll.«
Falken runzelte die Stirn. »Eure Ratgeberin?«
Die laute Stimme des Königs dröhnte durch die Halle. »Wo steckt meine Hexe? Jemand soll mir meine Hexe herbeischaffen!«
»Ich bin schon da, Euer Ungestüm.« Eine spinnenhafte Gestalt trippelte auf das Podium.
Falken betrachtete das alte Weib ungläubig. »Du bist auch seine Ratgeberin? Du kommst wohl viel rum, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
Grisla zuckte mit den knochigen Schultern. »Die Arbeit einer Hexe ist nie getan.«
König Kel sah die Alte an. »Was sollen wir mit ihnen machen, Hexe?«
Sie griff in die Lumpen, die ihren Körper bedeckten, und holte eine Handvoll schmaler, gelber Gegenstände hervor. Erst als sie sie auf die Treppenstufen schleuderte, erkannte Travis, daß es sich um Knochen handelte. Grisla ging in die Hocke, um das entstandene Muster zu studieren.
»Hm!« sagte sie. »Hm.« Dann kam sie mit einem mißtönenden
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