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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Doch der Wächter hatte in der Tür gestanden und auf sie gewartet, und es war weder Zeit noch Gelegenheit für einen Kleiderwechsel dagewesen. Aryn hatte kurzerhand einen Elfenbeinkamm aus einer Tasche gezogen und Graces aschblondes Haar gebändigt. Dann waren die beiden aus der Tür gestürzt und abwechselnd gehend und laufend durch das Korridorlabyrinth des Schlosses geeilt. Grace hatte daraus den Schluß gezogen, daß man den König von Calavere nicht warten ließ.
    »Was auch immer du bei deiner ersten Begegnung denkst, eigentlich ist König Boreas gar nicht so schlimm«, sagte Aryn. »Nun ja, zumindest nicht immer.«
    Grace zuckte zusammen. »Weißt du, das klingt nicht gerade beruhigend.«
    Aryn lächelte ihr angestrengt zu. »Tut mir leid. Ich vermute, ich habe meinen Verstand ebenfalls in dem anderen Gewand gelassen. Ich will mich bessern.«
    Sie bogen um eine Ecke, und der Gang verbreiterte sich zu einem langen Korridor.
    »Boreas ist ein eher einfacher Mann«, sagte Aryn so leise, daß nur Grace es hören konnte. »Das darfst du aber nicht so verstehen, daß es ihm an Intelligenz mangelt, denn das ist bestimmt nicht so. Aber der König neigt dazu, die Dinge in ihrer Grundsätzlichkeit zu sehen, und er handelt lieber, als daß er diskutiert. Wenn er dir also eine Frage stellt oder deine Meinung über etwas hören will, dann komm mit so wenigen Worten wie möglich zum Kern der Sache. Und sei gewarnt: Vielleicht sagt er Dinge, um dich absichtlich zu überraschen oder zu ängstigen. Das ist seine Art, die Leute zu testen. Die beste Reaktion besteht darin, so wenig wie möglich zu reagieren – kein Zusammenzucken und kein Stöhnen. Wenn er dich für schwach oder unbeständig hält, wird er dich auf der Stelle wegschicken. Obwohl ich zu seinen Gunsten sagen muß, daß er, soweit es ihn betrifft, Frauen nicht mehr Vorurteile als Männern entgegenbringt.«
    Aryn tippte sich nachdenklich ans Kinn. »Oh, noch eine Sache. Der König hält sich für witziger, als es tatsächlich der Fall ist. Also versuch ihm aufmerksam zuzuhören, und wenn es wie ein Witz klingt, dann lach. Je lauter, desto besser.«
    Grace biß die Zähne zusammen. Wie in aller Welt sollte sie das alles im Gedächtnis behalten? Aryns Erscheinen hatte sie vor Angst beinahe gelähmt, und sie konnte sich keine sanftere Person als die Baronesse vorstellen. Wie sollte sie sich einem lauten und fordernden König stellen? Hätte man ihn blutend und bewußtlos auf einer Trage in die Notaufnahme gerollt, hätte sie nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Aber gesund und sprechend, wie er ihr Fragen stellte? Das war eine ganz andere Sache.
    »Du wirst es schon richtig machen, Grace«, sagte Aryn, als hätte sie Graces Gedanken gelesen.
    Grace versuchte, ein tapferes Lächeln zustande zu bringen. »Ich versuche mein Bestes.«
    Sie eilten um die nächste Ecke, und ein unerwartetes Hindernis ließ sie ruckartig stehenbleiben. Grace blieb der Mund offenstehen, und Aryn keuchte auf.
    »Sieh an, wenn das nicht unsere allerliebste Lady Aryn ist.«
    Die Lady – es handelte sich mit Sicherheit um eine Frau von Adel – war älter als Aryn, eher in Graces Alter. Allerdings kam sich Grace neben ihr wie ein unbeholfener und jungenhafter Teenager vor. Die Lady war von einer üppigen und sinnlichen Schönheit, erwachsen, ohne das geringste Anzeichen von Älterwerden zu zeigen. Voll erblüht. Das traf es genau. Sie stand in perfekter, strahlender, voller Blüte. Ihr Haar war dunkelblond, ihr Teint elfenbeinfarben, ihre Augen vom gleichen frechen Grün wie ihr Gewand. Anscheinend schätzte sie diese Farbe, denn in der tiefen Kluft ihres Busens, den der Ausschnitt des Gewandes kaum zu bändigen wußte, ruhte ein großer, smaragdgrüner Anhänger. Instinktiv sträubten sich Graces Nackenhärchen.
    Aryn runzelte die Stirn. Sie schenkte der anderen ein knappes Nicken. »Guten Abend, Lady Kyrene«, sagte sie mit angespannter Stimme.
    Kyrene hob eine Hand an die Halsgrube. »Liebste Aryn, Ihr scheint nicht gerade erfreut, mich zu sehen. Dabei dachte ich gerade in diesem Augenblick, wie schön es wäre, mich mit Euch zu unterhalten.«
    »Vergebt mir, Kyrene.« Aryn brachte die Worte mühsam hervor. »Im Augenblick haben wir es ziemlich eilig.«
    Die grüngewandete Lady schaute unschuldig drein. »Warum das denn, meine Liebe?«
    Die Baronesse stöhnte. »Wir haben jetzt keine Zeit für so was, Kyrene. Ihr wißt genau, wohin wir unterwegs sind. In diesem Schloß zwinkert kaum eine

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