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Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige

Titel: Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Schlamm.
    Du mußtest es tun, Travis. Es war die einzige Möglichkeit.
    Er war die Stimme so leid. Er wollte nicht zuhören. Er stolperte in einen Eingang hinein, zurück in den Schutz des Schlosses. Er mußte in den Großen Saal. Falken würde wissen, was zu tun war. Oder Melia. Sie würden wissen, wie man alle retten konnte, wie er gerettet werden konnte.
    Travis hastete einen Korridor entlang. Doch er war noch nicht weit gekommen, als aus einem Torbogen ein Lichtstrahl fiel. Er drehte sich auf dem Absatz um – das Leuchten kam auch aus dieser Richtung. Gestalten bewegten sich in dem Licht und streckten spindeldürre Hände aus. Die Geste erschien beinahe liebevoll, aber Travis wußte, daß in dieser Umarmung nur Kälte und Tod lagen. Er wählte die einzige Richtung, die ihm noch offenstand, ein schmaler Seitengang.
    Der Gang endete nach wenigen Schritten vor einer Wand. Travis strich mit den Händen über den Stein, aber da war weder ein Hebel noch ein Spalt zu finden. Es war eine Sackgasse. Travis drehte sich um und ließ sich mit dem Rücken gegen die Wand sacken. Er war ohnehin zu müde, er konnte nicht weiterlaufen. Er umklammerte die Eisenschatulle durch den Stoff des Wamses hindurch.
    »Es tut mir leid, Jack«, flüsterte er.
    Dann sah er zu, wie der fahle Lichtschimmer vor ihm immer heller wurde.

37
    Aryn, Baronesse von Elsandry, stand in einer Ecke von Calaveres Großem Saal und beobachtete, wie sich die Gäste des Wintersonnenwendfestes versammelten.
    Sie hatte eine Position neben einer Seitentür gewählt – direkt neben einer Gruppe mehrerer blattloser Schößlinge, die man zu Dekorationszwecken dort aufgestellt hatte –, um unauffällig zu wirken. Nicht, daß ihr das schwergefallen wäre. Schon ihr ganzes Leben lang gingen die Leute an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken. Denn hätten sie sie bemerkt, hätten sie auch ihren Arm ansehen und sich eingestehen müssen, daß er da war, und das war etwas, das sie vermeiden wollten. Aryn seufzte, als buntgekleidete Festgäste lachend vorbeigingen. Keiner wandte den Kopf in ihre Richtung. Das war schon in Ordnung – sie hatte neunzehn Jahre Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Außerdem hatte sie schon als Kind gelernt, daß es besser war, ignoriert statt angestarrt zu werden.
    Aryn fröstelte in ihrem azurblauen Gewand und dem Umhang aus weißem Hasenpelz. Trotz der Kleidung und dem Qualm und den vielen Menschen im Großen Saal war ihr kalt. Falls Grace und Freisasse Travis recht hatten – und sie hatte keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen –, dann hielt sich Alerains Mörder in genau diesem Augenblick irgendwo in diesem Saal auf.
    Sie ließ die Blicke über die Gruppen aus Adligen, Rittern und Dienern schweifen. Es konnte jeder sein, hinter der Maske jedes dieser Gesichter konnte das Böse lauern. Sie musterte einen Gast nach dem anderen, suchte nach irgendwelchen Anzeichen, und wenn ihr Blick öfters auf jenen verweilte, die schön oder attraktiv oder wohlgeformt waren, dann war das nur logisch. Alle gingen immer von der Annahme aus, daß die Häßlichen oder die Außenseiter böse waren oder schreckliche Taten begangen hatten. Denn was konnte ihre Erscheinung anderes sein als die Bestrafung für ein ruchloses Verbrechen?
    Aber Aryn wußte, daß das nicht stimmte, und sie lächelte bitter. Warum eine so einfache Verkleidung wählen? Nein, der Mörder war dafür viel zu schlau. Es war viel effektiver, das Böse hinter einem beruhigenden Lächeln oder einem ehrlichen Gesicht oder gar Augen, in denen man tagelang einfach so versinken konnte, zu verbergen.
    Noch mehr Adlige strömten in den Großen Saal, und Aryns Herz flatterte wie ein gefangener Spatz in ihre Brust. Sie wußte, daß König Boreas nach ihr Ausschau halten würde. Da es Alerain nicht mehr gab, war die ganze Organisation ihr zugefallen. Aber sie hatte mit dem Kellermeister und der Küchenfrau alle nötigen Vereinbarungen getroffen; sie würden sich darum kümmern, daß die Adligen zu essen und ihren Wein bekamen.
    Und wenn sie den Met vergessen haben?
    Panik stieg in ihr auf. König Persard von Perridon zog Met Wein vor und würde laut werden, wenn er ihn nicht vorgesetzt bekam. Und König Sorrin würde nur frische Ziegenmilch trinken – auch wenn er, seiner ausgemergelten Erscheinung nach zu urteilen, lieber mehr davon hätte trinken sollen. Was, wenn der Kellermeister und die Küchenfrau das vergaßen? Aryn hob den Saum ihres Gewandes und setzte sich in Bewegung.
    Nein, Aryn.

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