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Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige

Titel: Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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er etwas Weißes und Regloses am Boden liegen. Genau neben der Kohlenpfanne. Er bückte sich und hob es auf: eine tote Taube. Er strich mit dem Daumen über den kleinen Kadaver. Ob sie wohl von den Dachbalken heruntergefallen war? Nein, ihr Kopf baumelte auf der Seite. Man hatte ihr den Hals umgedreht.
    »Wir müssen ohnehin bald da sein«, fuhr Rin fort; er wandte Travis noch immer den Rücken zu. »Wir müssen vor Festbeginn die Rune der Reinheit sprechen.«
    Travis nahm den Runensprecher nur unbewußt wahr. Er starrte die Taube an. Plötzlich erschien ein roter Fleck auf ihrem weißen Federkleid. Blutete sie? Ein zweiter roter Punkt erschien neben dem ersten, dann noch einer. Travis hob den Kopf und schaute nach oben.
    Er war an einem Dachbalken festgebunden, die Augen kreisrund vor Entsetzen, das Gesicht purpurrot angelaufen. Jemis. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel und tropfte in die Tiefe. Der Kopf des älteren Runensprechers ruhte in einem unnatürlichen Winkel auf seiner Schulter – man hatte ihm das Genick gebrochen, genau wie der Taube. Nur daß man dazu kräftige Hände gebraucht hatte, schrecklich kräftige Hände …
    Rin drehte sich um. »Hier ist dein Wein, Travis. Und nun erzähle, was ist los?«
    Travis starrte die Pokale in Rins Händen an, diesen großen Bauernhänden. Einen Herzschlag lang kam die Welt zum Stillstand. Dann schoß Travis aus dem Stuhl empor, stieß ihn um und wich zurück. Rin sah unbewegt zu. Aber dann warf er die Pokale zu Boden und kam auf Travis zu.
    Ein Laut entschlüpfte Travis’ Kehle: Trauer und Schrecken. »Rin, was haben sie aus dir gemacht?«
    »Du bist ein Narr, dich ihm zu widersetzen, Travis.« Rins Stimme war tonlos. »Du kannst ihm nicht entkommen.« Der junge Runensprecher zögerte, und in seinen braunen Augen schien ein beinahe trauriger Ausdruck zu stehen. »Du wirst schon noch begreifen. Am Ende wird er dich zu einem der seinen machen.«
    »Aber warum …?«
    »Warum ich mich dazu entschieden habe? Warum ich Runensprecher blieb? Warum ich dich nicht in dem Augenblick tötete, in dem mir klar wurde, daß du Runen binden kannst?« Seine Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. »Man hat mich hergeschickt, um die Runensprecher im Auge zu behalten. Und ich beobachtete dich, Travis – von deinem ersten Tag im Schloß an, als Falken zu uns kam und mit uns sprach. Es war die Aufgabe der anderen Diener meines Herrn, dich zu töten. Aber sie haben versagt, und jetzt ist die Zeit für Fragen vorbei.«
    Travis bewegte sich langsam auf die oberste Treppenstufe zu. Rins Lächeln verschwand. Seine Augen waren so leblos wie Kieselsteine.
    »Travis, gib mir Sinfathisar.«
    »Nein.« Er machte einen Satz in Richtung Treppe.
    Seine rechte Handfläche fing in dem Augenblick an zu kribbeln, in dem Rin das Wort aussprach.
    »Krond!«
    Travis fühlte es sofort: die Luft um ihn herum verwandelte sich in einen Ofen. Der vom Stoff seiner Kleider aufgesogene Schweiß verdampfte. Die Temperatur stieg an. Travis wußte, beim nächsten Herzschlag würde er in Flammen stehen.
    Zerbrich sie, Travis!
    Jack. Es war Jack.
    Zerbrich seine Rune.
    Seine Kehle war eine Wüste, seine Zunge wurde in seinem Mund gekocht. Er konnte kaum einen Laut formen, aber dann gelang es ihm.
    »Reth!«
    Er fühlte mehr, daß seine Hand aufblitzte, als er die Rune des Zerbrechens sprach, als daß er es sah. Die sengende Hitze verschwand, und er nahm wahr, wie die Magie von ihm wegströmte, zurück zu ihrem Ausgangspunkt. Ein Schrei ertönte und brach ab, gefolgt von einem dumpfen Aufprall.
    Travis kämpfte sich wieder auf die Füße, schwankte, fing sich aber. Rin lag auf dem Boden, und Travis stolperte auf den jungen Runensprecher zu. Rins Augen starrten mit dem leeren Blick des Todes nach oben, aus seinem aufgerissenen Mund wehte ein Rauchwölkchen in die Höhe. Die Macht des Treffers hatte sein Wams zerfetzt. Die zerklüftete Narbe auf seiner Brust war deutlich zu sehen.
    Gut gemacht, Travis! Als du seine Magie zerbrochen hast, hast du auch seinen Verstand zerbrochen.
    Er ballte die rechte Hand zur Faust. Nein, das hatte er nicht gut gemacht. Er hatte sein Versprechen schon wieder gebrochen. Travis drehte sich um, lief die Treppe hinunter und stürmte in die eisige Nacht hinaus. Er sog die kalte Luft mit tiefen Zügen ein, aber sie konnte die Übelkeit in seinen Eingeweiden nicht beseitigen. Die Hände auf die Knie gestützt, spie er seine Furcht und seinen Abscheu in den gefrorenen

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