Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
noch eine Weile, und dann …
»Es ist Zeit«, sagte Kyrene. »Bereitet Euch auf Euer neues Leben vor, Beltan von Calavan.« Sie setzte die Spitze des Onyxdolches ein Stück über seinem Brustbein auf.
Nein, er mußte etwas sagen, um mehr Zeit zu gewinnen. Egal was.
»Küßt … mich …«
Der Dolch verharrte. Sie starrte ihn an, ihre glatte Stirn legte sich in Falten.
»Küßt mich … während Ihr mich tötet …«
Das Stirnrunzeln verwandelte sich in einen Ausdruck aus Lust und Heiterkeit. »Vielleicht ist das ja doch kein so großer Fall für Euch, wie ich dachte, Lord Beltan. Ja, wir werden ein großartiges Paar abgeben!«
Kyrene hielt den Dolch fester, dann senkte sie den Kopf und küßte ihn. Der Geschmack von Tod drang in seinen Mund ein. Sie verstärkte den Druck ihrer Lippen noch, dann stieß sie langsam mit dem Dolch zu. Die Klingenspitze durchschnitt seine Haut. Warmes Blut rieselte ihm die Brust hinunter. Ihre Zunge erforschte seinen Mund. Sie spannte den Körper an, um ihr ganzes Gewicht auf den Dolchgriff fallen zu lassen und die Klinge in sein schlagendes Herz zu treiben.
Jetzt, er mußte jetzt handeln.
Beltan zwang seinen Körper zur Bewegung. Die Anstrengung verwandelte sein Blut in Gift. Heiße Qual schoß durch seine Glieder, ergoß sich in seine Brust und kochte in seinem Schädel über. Er schrie auf und ließ sich vom Schmerz durchfluten, ließ ihn die Taubheit wegbrennen. Seine Arme waren schwer – es war wie die Bewegung durch geschmolzenen Fels –, aber irgendwie schaffte er es, sie anzuheben, das Gesicht der Gräfin zu ergreifen und sie von sich wegzustoßen.
Kyrenes Kopf schlug gegen eine Säule, das Krachen des Aufpralls hallte durch die ganze Gruft. Dieser Zusammenstoß hätte den stärksten Mann gefällt.
Die Gräfin taumelte, fing sich wieder und wandte sich ihm erneut zu.
Blut strömte ihr ins Gesicht, Wut verzerrte ihre einst so schönen Züge zu einem Antlitz des Bösen. Beltan konnte die eingedrückte Stelle an ihrem Schädel sehen, wo der Knochen beim Aufprall auf die Säule zerbrochen war. Trotzdem kam sie mit hoch erhobenem Dolch auf ihn zu.
»Sterbt für mich, Mylord!« Ihre Stimme war ein unmenschliches Kreischen. »Sterbt für mich!«
Sie warf sich auf ihn, um ihm den Dolch in die Brust zu rammen. Es blieb keine Zeit zur Gegenwehr, nicht mit der Steifheit, die das Gift verursacht hatte, das noch immer durch seine Adern floß. Er rollte sich von der Totenbahre herunter, und ihr Stoß ging fehl. Sie prallte gegen die scharfe Kante der Bahre, fiel unkontrolliert nach vorn und knallte mit dem Gesicht auf den harten Stein. Der Dolch flog ihr aus der Hand.
Beltan biß die Zähne zusammen und kämpfte sich auf die Füße. Kyrene wand sich mit dem Oberkörper auf der Bahre und beschmierte den Marmor mit Blut, dann richtete sie sich ruckartig auf. Ihr Kopf hing zur Seite. Ihr Antlitz hatte sich in eine blutrote Masse verwandelt, in der nicht mehr die geringste Spur von Schönheit oder Menschlichkeit zu entdecken war. Doch er konnte noch immer ihre Augen sehen, die in der Ruine ihres Gesichts wie zwei zerbrochene Edelsteine leuchteten. In ihnen stand Verlangen zu lesen. Sie hob die Arme und sprang auf Beltan zu. Worte zwängten sich zwischen den zerfetzten Lippen und den abgebrochenen Zähnen vorbei.
»Ich werde ewig leben!«
Beltan griff nach der Fackel und stieß das brennende Ende gegen ihr Gewand.
Kyrenes schrille Schreie hallten durch die Gruft. Und als wäre ihr Blut eine Art heimtückischer Brennstoff, sprangen die Flammen in die Höhe und woben die Gräfin in einen Feuerkokon ein. Jetzt stand Entsetzen in ihre grünen Augen geschrieben, und sie erschienen beinahe wieder menschlich. Sie griff mit der brennenden Hand nach ihm.
»Rettet mich, Beltan!«
Er ließ die Fackel fallen und stolperte zurück. Als er sprach, lag in seiner heiseren Stimme Trauer und Ekel.
»Das habe ich gerade getan, Kyrene.«
Sie fing wieder an zu schreien, taumelte und fiel auf die Totenbahre. Zwei graue Gestalten krochen aus den Schatten. Feydrim. Beltan tastete fahrig nach der Fackel, aber die Gestalten waren nicht seinetwegen gekommen. Sie huschten auf die Bahre und wanden ihre dünnen Arme um die brennende Gräfin. Die Flammen leckten über ihr verfilztes Fell dann brannten auch sie lichterloh.
Kyrenes Schreie endeten. Sie und die Feydrim waren in dem Feuer verloren. Beltan wich vor dem Inferno zurück.
Sein Fuß stieß gegen ein weiches Bündel. Er bückte sich
Weitere Kostenlose Bücher