Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
das erste Mal …
Ihr Lächeln verblaßte.
Durge legte den Kopf schief. »Das dürfte für heute genügen. Ihr lernt schnell, Mylady, obwohl ich Euch lieber den Umgang mit einer größeren Waffe beibringen würde. Selbst auf engem Raum ist mir mein Breitschwert immer noch am liebsten.«
»Aber das hier paßt etwas besser in meinen Stiefel«, sagte Grace. Sie bückte sich und schob das Messer in die Scheide in ihrem Hirschlederstiefel. Sie wußte, daß es unvernünftig war, aber sie fühlte sich einfach sicherer, wenn sie das Messer dicht an ihrer Haut spürte.
Da fiel ihr etwas ein. »Durge, was hält König Sorrin davon, daß Ihr soviel Zeit mit mir verbringt?«
Durge war gerade dabei, sein Schwertgeschirr wieder anzulegen, das er für ihre Ausbildung abgenommen hatte. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen – nur seinen breiten Rücken und seine hängenden Schultern.
»Macht Euch über Sorrin keine Gedanken, Mylady. Ich habe mich und mein Schwert Euch verpflichtet, und in Embarr ist das Wort eines Ritters härter als Stahl und ausdauernder als Stein.«
Grace wollte etwas erwidern, aber ein Klopfen an der Tür kam ihr zuvor.
»Grace!« rief Aryn, als sie in den Raum gestürzt kam. »Ich bin ja so froh, daß du hier bist. König Boreas will dich sehen.«
Grace verschränkte die Arme. Sie trug heute das lavendelfarbene Gewand. Es war ihr klar gewesen, daß der König sie früher oder später zu sich befehlen würde, aber so bald hatte sie nicht damit gerechnet. Nach der katastrophalen Abstimmung gestern hatte sich der Rat vertagt. Sie war davon ausgegangen, daß Boreas zunächst einmal mit seinen Gedanken allein gelassen werden wollte.
»Wann möchte Boreas mich sehen?« fragte sie Aryn.
»Sofort, hat er gesagt.«
Grace mußte schlucken. Boreas ging grundsätzlich immer davon aus, daß seine Befehle umgehend ausgeführt werden. Es war kein gutes Zeichen, daß er ausdrücklich sofort gesagt hatte.
Sie sah kurz Durge an. »Dann gehe ich wohl besser.«
»Nein, Mylady. Dann lauft Ihr wohl besser.«
Im nächsten Augenblick hetzten sie und Aryn durch die Gänge der Burg. Diener und einfache Adlige hasteten beiseite, um ihnen Platz zu machen. Ein rotbäckiger Page ließ eine Schüssel Äpfel fallen, und sie kullerten kreuz und quer über den Boden. Er tat Grace leid, und sie hoffte, daß man ihn nicht schlagen würde. Aber wenn sie sich nicht beeilte, konnte es ihr selbst ähnlich ergehen. Sie hoffte, daß Boreas sie nicht übers Knie legen würde, aber völlig ausschließen konnte sie es nicht.
»Glaubst du, daß der König noch böse auf mich ist, weil ich Falken gestern bei der Ratssitzung diese Frage gestellt habe?« fragte sie Aryn atemlos.
Aryn sah sie mit einer Mischung aus einem Lächeln und einer Grimasse an. »Mach dir keine Sorgen, Grace. Auf Calavere ist schon seit Monaten niemand mehr geköpft worden.«
Grace verschwendete keinen Atem für eine Antwort. Sie lief statt dessen schneller.
»Ladys, kann ich Euch in Eurer Hast kurz aufhalten?«
Grace und Aryn hielten an, als wären sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Vielleicht waren sie das auch wirklich. Grace hatte zwar ihr ganzes Leben in einer Demokratie verbracht, aber ein königlicher Herrscher strahlte eine Macht aus, der man sich nicht entziehen konnte. Sie drehten sich um und blickten in die eisgrauen Augen von Ivalaine, der Königin von Toloria.
Sofort machten beide einen eiligen Knicks. »Euer Majestät!«
»Erhebt Euch«, sagte die Königin, und sie gehorchten.
Ivalaine stand in einem Alkoven und stützte sich auf einen Sockel, ganz so, als wartete sie dort schon eine Zeitlang. Aber auf was wartete sie?
Meinst du nicht, auf wen wartet sie, Grace?
Sie suchte hinter der Königin nach etwas Smaragdgrünem, aber Kyrene war diesmal nirgendwo in Sicht. Nur Tressa stand mit einem ruhigen Ausdruck auf ihrem plumpen, hübschen Gesicht hinter der Königin. Die königliche Hofdame sah aus wie ein Engel. Nur daß Engel keine roten Haare hatten, oder? Grace richtete die Aufmerksamkeit wieder auf Ivalaine. Auf dem Sockel, an den sich die Königin anlehnte, standen eine Bronzekanne voll Wasser und eine Horntasse. Das mittelalterliche Äquivalent eines Getränkeautomaten.
»Was können wir für Euch tun, Euer Majestät?« fragte Aryn nach Luft schnappend.
»Trinkt«, sagte Ivalaine. »Ihr seid durstig.«
Grace faßte sich an den Hals. Sie war wirklich durstig, sogar sehr. Ihr Mund war staubtrocken. Sie nahm die Tasse, füllte sie aus
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