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Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige

Titel: Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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der Kanne und trank gierig. Aryn riß ihr die Tasse förmlich aus den Händen und tat dasselbe. Grace wischte sich mit dem Handrücken über das feuchte Kinn. Das Wasser in der Kanne war kalt und erfrischend gewesen, aber ihre Kehle wurde schon wieder trocken. Sie griff erneut nach der Tasse. Eine schlanke Hand auf ihrem Arm hielt sie davon ab.
    »Der Durst läßt sich nicht so leicht stillen, nicht wahr, meine Schwester?«
    Grace hatte erwartet, daß die Königin sich wie Elfenbein anfühlen würde, aber ihre Hand ruhte warm und leicht auf der ihren, wie die Berührung eines Vogels. Sie konnte einen Pulsschlag fühlen, wie ein kleines, flatterndes Herz.
    Grace leckte sich die Lippen. »Wir müssen wirklich gehen«, krächzte sie. »König Boreas erwartet uns.«
    Aryn nickte. »Der König.« Sie schien nicht in der Lage zu sein, etwas anderes zu sagen.
    Ivalaines Kleid hatte die Farbe von Wasser. Die Luft schien zu flimmern. »Schaut in die Kanne«, sagte sie. »Ich glaube, Ihr werdet darin etwas finden.«
    »Und was werden wir Eurer Meinung nach sehen?« fragte Aryn, aber Ivalaine gab ihr keine Antwort. Sie blickte die beiden nur an, und ihre Augen glitzerten wie geheimnisumwobene Juwelen.
    Grace und Aryn starrten in das Wasser.
    Was tust du da, Grace? Du mußt gehen. Boreas wirft dich seinen Bulldoggen vor, wenn du dich nicht beeilst. Außerdem ist da sowieso nichts im Wasser …
    Grace holte zischend Luft. Wäre nichts in dem Wasser gewesen, hätte sie in der Lage sein müssen, bis auf den Boden der Kanne zu sehen. Aber das konnte sie nicht. Das Innere des Gefäßes war schwarz. Die Dunkelheit raubte ihr die Sicht und zog sie in sich hinein, bis sie ihre Sicht ausfüllte. Ihr wurde übel, als triebe sie auf unruhiger See.
    »Ich sehe ein Schloß!«
    Das war Aryn, obwohl sie sich wie aus weiter Ferne anhörte. Sie klang fröhlich und aufgeregt, wie ein kleines Mädchen, das Geburtstagsgeschenke öffnete.
    »Es hat sieben Türme – ich kann sie ganz genau erkennen –, und da sind hundert Ritter mit Flaggen an den Lanzen. Die Flaggen sind so blau wie der Himmel. Vor den Rittern reitet eine Frau auf einem Pferd, das so weiß wie die Wolken ist. Sie muß ihre Königin sein. Sie ist auch ganz in Blau gekleidet, trägt ein Schwert an ihrem Gürtel, und ihr Haar weht hinter ihr im Wind. Sie ist so stolz, so stolz und … oh!«
    Aryn verstummte. Was hatte sie gesehen? Grace konnte weder das Schloß noch die stolze Königin erblicken. Sie sah nur Dunkelheit.
    Nein, das stimmte nicht. Da war doch etwas zu erkennen. Hände. Manche lang und schlank, andere kräftig und grob. Sie zeichneten sich fahl von der Dunkelheit ab und wurden ausgestreckt. Dutzende. Hunderte. Und sie griffen alle nach ihr.
    Nein!
    Das Wasser in der Kanne verwandelte sich, nun war es feuerrot. Flammen schossen aus der Dunkelheit. Vom Feuer erfaßt, krümmten sich die Hände wie sterbende Spinnen. Sie glaubte, Schreie zu hören. Dann war da nur noch das Feuer da. Reines, heißes, reinigendes Feuer …
    »Lady Grace!«
    Die Stimme klang streng, aber nicht besorgt. Grace riß den Kopf hoch. Neben ihr blinzelte Aryn verwirrt. Ivalaine beobachtete die beiden immer noch, doch nun lag etwas Berechnendes in ihrem Blick. Tressa nickte mit einem wissenden Lächeln auf ihrem Engelsgesicht.
    Aryn schüttelte den Kopf. »Was … was ist geschehen?«
    »Wasser hat Macht, hat Leben«, sagte die Königin von Toloria. »Es spiegelt sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft wider. Man muß nur wissen, wie man hineinschauen muß.« Ivalaine trat vor und ergriff triumphierend Graces und Aryns Hände. »Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Die Gabe ist bei Euch beiden besonders ausgeprägt.«
    Aryn sah Grace ängstlich an. Aber da lag auch noch etwas anderes im Blick der Baronesse. Ein flackernder Hunger. Grace versuchte zu schlucken. Ihre Kehle brannte vor Durst.
    »Was ist, wenn wir sie nicht wollen?« fragte sie. »Was ist, wenn wir auf diese Gabe verzichten können?«
    Ivalaines Blick war so abwesend und kühl wie ein Winterhimmel. »Dann kommt heute bei Sonnenuntergang nicht in mein Gemach.« Die Königin ließ ihre Hände los und ging ohne ein weiteres Wort den Gang entlang. Tressa folgte ihr stumm. Die tolorianischen Frauen verschwanden um eine Ecke. Aryn schlug sich vor die Stirn, als erwachte sie aus einer Trance.
    »Der König!«
    Grace regte sich nicht. Sie starrte weiter in den Krug. Kleine Bläschen stiegen aus dem Wasser, feine, gekräuselte

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