Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
Steine haben würden.
Auf den Handflächen von Boreas, Kylar und Persard lag ein weißer Stein: Krieg. Auf den Händen von Eminda, Lysandir und Sorrin offenbarten sich schwarze Steine. Nur bei Ivalaine war Grace sich nicht sicher. Die schöne Königin von Toloria saß bewegungslos da, dann öffnete auch sie die Hand.
Ihre Hand war leer. »Ich enthalte mich«, sagte Ivalaine.
In Boreas Augen loderte wieder die Wut auf, aber noch bevor er etwas sagen konnte, stand Eminda auf.
»Dann ist es ein Patt«, sagte sie. »Und ein Patt bedeutet: keine Mobilmachung!«
Falken starrte die Königin von Eredane und den restlichen Rat an. Er sah blaß und hager aus. Grace wollte die Hand heben, aber sie überlegte es sich anders. Wie konnte sie schon helfen? Wenn Falken den Rat schon nicht überzeugen konnte, dann konnte sie das erst recht nicht. Falken nahm die zerbrochene Rune an sich.
»Dann gibt es keine Hoffnung mehr für Eldh«, sagte er und verließ den Turm.
10
Am nächsten Morgen kam Durge in Graces Gemach, um ihr beizubringen, wie man richtig mit dem Dolch umging.
»Es hat schon einen Angriff auf Eure Person gegeben, Mylady«, sagte der Ritter, als sie ihm die Tür öffnete. »Das macht einen weiteren um so wahrscheinlicher. Ich habe nicht vor, mich zu weit von Euch zu entfernen, aber ich kann nicht jeden Augenblick bei Euch sein.«
Grace lächelte verkniffen. »Ihr könntet schon, Durge. Ich bezweifle nur, daß ich Euch dann noch so sehr schätzen würde, wie ich es jetzt tue.«
Durge trat ein und bat sie, ihm ihr Messer zu zeigen. Grace gab es ihm. Sie hatte das Blut des Feydrim davon abgewischt, und die Klinge glänzte im Sonnenlicht, das durch das Fenster hereinschien. Das Messer war klein, mit gebogener Klinge. Es schien lebendig zu sein, aber Messer konnten nun einmal lebende Wesen sein. Grace kannte das aus dem Krankenhaus. Manchmal sprang ein Skalpell ihr einfach so aus der Hand, ein anderes Mal schien es ihre Finger zu führen, als wüßte es besser als sie, wo man den Einschnitt machen mußte.
»Es ist alt und zeugt von guter Handwerkskunst«, sagte Durge. »Jeder Klinge aus den Schmieden von Embarr gleichwertig, obwohl ich annehme, daß dieser Dolch hier in Calavan hergestellt wurde. Im dritten Jahrhundert nach der Gründung, würde ich sagen, also ist er fast zweihundert Jahre alt. Aber der Griff ist schon einmal erneuert worden.«
»Woher wißt Ihr all das, Durge?«
Der Ritter zuckte mit den Schultern. »Ich habe ein flüchtiges Interesse an Metallen und anderen Elementen, Mylady. Seid nicht zu beeindruckt. Meine Vermutungen sind gewiß ganz falsch.«
Grace bezweifelte das. Sie nahm ihren Dolch zurück und betrachtete ihn mit neuer Ehrfurcht. Durch wie viele Hände war er gegangen, bevor sie ihn bekam?
»Man kann Jahre darauf verwenden, den richtigen Umgang mit einem Messer zu erlernen«, sagte Durge, »und wir haben nur einen Nachmittag. Ich kann Euch jedoch ein paar Haltungen und Bewegungen zeigen. Sie sind recht einfach, aber sie werden einen Gegner dazu bringen, es sich zweimal zu überlegen, ob er Euch noch einmal angreifen will.«
Grace spannte ihre Schultern an. »Bringt es mir bei.«
In der nächsten Stunde hörte Grace Durge mit dem Dolch in der Hand gebannt zu, wie er ihr erläuterte, wie sie sich hinstellen mußte, um ihre wichtigsten Körperbereiche zu schützen: den Bauch, die Kehle, das Gesicht. Er brachte ihr bei, statt mit weit ausholenden Hieben nur schnell und kurz zuzustechen. Das Ziel bestand nicht darin, den Gegner zu töten, sondern nur, ihn zu verletzen, ihm weh zu tun und ihn langsamer zu machen. Das würde Grace genug Zeit geben, um wegzulaufen oder nach Hilfe zu rufen.
Am Ende der Stunde waren Graces Wangen von der Anstrengung gerötet, und die Schulter tat ihr weh. Aber als Durge sie zum Schein von hinten angriff, war sie in der Lage, sich schnell zu ducken und zuzustechen.
Eine starke Hand packte ihr Handgelenk. »Sehr gut, Mylady.«
Sie schaute zurück. Die Messerspitze war keinen Zentimeter weit von Durges Oberschenkel entfernt.
»Ich wußte ja, daß Ihr das tun würdet. Euer Gegner hätte diesen Vorteil nicht. Diesen Stich hätte er bestimmt gespürt.«
Grace richtete sich mit klopfendem Herzen auf und lächelte. Könnte sie so etwas wirklich tun? Könnte sie wirklich einen anderen verletzen, um sich selbst zu retten? Warum nicht, Grace? Du hast es früher schon getan. Denk nur an den Bäcker im Unteren Burghof. Und das war nicht das erste Mal. Das war nicht
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