Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
Ohren, und er blickte hinunter. Das schwarze Kätzchen war heruntergefallen, über den Boden gerollt und vor seinen Füßen gelandet. Er hob es hoch und setzte es auf der Fensterbank ab. Das Kätzchen betrachtete ihn mit goldenen Augen. Sie hatten Ähnlichkeit mit denen Melias.
»Hat sie dich geschickt, um mich auszuspionieren?« fragte er.
Das Kätzchen schnurrte bloß zur Antwort und fing an, die Fensterbank zu erkunden. Als es die Scheibe erreichte, versteifte es sich und fauchte. Sein Fell sträubte sich. Travis schaute hinaus.
»Das ist nur ein Hund«, sagte er mit einem Lächeln. »Und er ist ganz unten im Burghof. Er kann dir nichts tun.«
Er wollte das Kätzchen wieder hochheben. Es fauchte erneut und hieb mit seinen winzigen Krallen zu. Ein dünner roter Strich erschien auf Travis’ Haut. Er riß die Hand zurück.
»Auch du?« murmelte er.
Das Kätzchen saß jetzt ganz ruhig da, leckte sich auf niedliche Weise die Pfote und betrachtete ihn wieder mit seinen mondähnlichen Augen.
»Verräter.«
Das Tier sprang leichtfüßig zu Boden und stolzierte zu Melia zurück. Travis nahm einen leeren Krug vom Tisch und folgte ihm.
»… war absolut verheerend«, sagte Melia gerade. »Wir müssen eine Möglichkeit finden, das Unentschieden zu überwinden.«
»Und zwar so lange es noch Domänen gibt, für die man kämpfen kann.« Falken klimperte einen Mollakkord.
Travis räusperte sich. »Ich hole Wasser.« Eigentlich war er überhaupt nicht durstig. Doch ihm war kein anderer Vorwand eingefallen, um den Raum zu verlassen.
»Schon in Ordnung, Travis«, sagte Melia abwesend.
Er runzelte die Stirn. »Und dann stürze ich mich von den Zinnen und zähle, wie viele Sekunden es dauert, bevor ich auf den Pflastersteinen zu Brei zermalmt werde.«
»Das ist nett, mein Bester.« Sie hob das Kätzchen auf und setzte es sich wieder auf den Schoß.
Es war sinnlos. Travis verließ das Gemach und überließ Falken und Melia ihren Plänen. Er stellte den Krug auf einer Kommode ab und ging den Korridor entlang.
Wie immer entschied sich Travis für keine besondere Richtung. Er spazierte eine Zeitlang durch das Schloß, und als er schließlich zu einer Tür kam, die nach draußen führte, öffnete er sie und betrat den Unteren Burghof. Kalte Luft schlug ihm ins Gesicht und vertrieb die schläfrig machende, rauchige Dumpfheit des Schlosses.
Der Hof war voller Menschen, und Travis kam sich wie ein Außenseiter vor, da er offensichtlich nichts zu tun hatte. Er eilte über die Pflastersteine – vorbei an kleinen, kräftigen Männern mit pockennarbigen Wangen und jungen Frauen mit schmutzigen Gesichtern und zahnlosem Lächeln – und hoffte, daß ihn das aussehen lassen würde, als verfolgte er ein bestimmtes Ziel. Er wollte nicht wieder mit einem Diener verwechselt werden.
Hinter ihm ertönte plötzlich lautes Gemecker. Er blickte über die Schulter und sah eine Herde Ziegen, die auf ihn zukam. Die Viecher waren klein, aber es gab eine Menge von ihnen, und etwas sagte ihm, daß es ihm nicht gefallen würde, wenn ihre kleinen gespaltenen Hufe über ihn trampelten. Er stolperte aus dem Weg und drückte sich gegen eine Mauer. Die zotteligen Tiere liefen zusammen mit ihrem Hirten vorbei; der Mann war genauso zottelig wie die ihm anvertrauten Ziegen.
Sobald sich der Gestank wieder gelegt hatte, löste sich Travis von den Steinen. Sein Spurt in die Sicherheit hatte ihn in eine dunkle Ecke des Hofes gebracht. Über ihm ragte ein Turm empor, der ihm zuvor gar nicht aufgefallen war. Er war kleiner als die übrigen Türme des Schlosses, und von den neun schien er sich als einziger in schlechtem Zustand zu befinden. An einer Stelle waren mehrere Steine herausgebrochen, und das Schieferdach saß seltsam schräg. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte man ihn aufgegeben. Vielleicht war er sogar gefährlich. Travis zuckte mit den Schultern und wollte weitergehen.
Da sah er etwas aus dem Augenwinkel und erstarrte. Genau dort. Er begab sich zu der Tür des Turms, die die Elemente ebenso grau gemacht hatten wie das sie umgebene Mauerwerk. Man hatte sie aus Silber gefertigt, und obwohl die Zeit sie hatte dunkel anlaufen lassen, konnte er sie genau erkennen: drei sich verbindende Linien. Es war dasselbe Symbol, das in den Ruinen von Kelcior auf seiner rechten Hand aufgeglüht war.
Travis griff nach der Rune.
»Kann ich Euch helfen?« fragte eine männliche Stimme hinter ihm.
Er riß die Hand zurück und drehte sich um. Der Mann war jung,
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