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Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige

Titel: Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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wie Ruß vom Himmel, die Stadt war ein verschwommener Schatten. Die Straßen verliefen völlig willkürlich. Sie führten nach rechts und links, endeten abrupt, verwandelten sich in Gassen, die so schmal waren, daß sich die beiden Frauen hintereinander nur mit Mühe an den Holzwänden vorbeischieben konnten, um sich dann zu Wegen zu verbreitern, die große Ähnlichkeit mit offenen Jauchegruben hatten.
    Zuerst begegneten ihnen nur wenig Leute, dann kamen sie zu einem Platz. Hier gab es einen Steinbrunnen. Schafe liefen umher sowie Menschen in grobgewobenen, schmutzstarrenden Kitteln. Ihre Gesichter waren pockennarbig, ihre Rücken krumm, ihre Hände deformiert und mit fehlenden Fingern. Selbst damals in den Appalachen hatte Grace keine derartige Verwahrlosung gesehen.
    Und das ist die blühendste aller Domänen, Grace.
    Adira zerrte sie über den Platz. Auf dem schlammigen Boden sickerten zahllose braune Rinnsale vor sich hin. Der Gestank, der dick und atemraubend aus ihnen aufstieg, war wie ein lebendiges Wesen, das mitten in den primitiven Kern von Graces Gehirn hineinstach und Ängste auslöste, die älter als jedes Schloß waren. Der Geruch menschlicher Exkremente. Es war zuviel. Ihr Magen verkrampfte sich, ein saures Feuer brannte in ihrer Kehle. Sie wandte sich ab, lehnte sich gegen eine Wand und übergab sich in einen offenen Abwassergraben.
    »Das ist schon in Ordnung, Mylady«, sagte Adira leise und mit einem spöttischen Unterton. »Das ist nur der Gestank der Abwassergruben. Kommt, drinnen wird es besser sein.«
    Grace schaffte es, sich aufzurichten, dann wischte sie sich den Mund mit dem Handrücken ab und nickte.
    »Bring mich zu deinem Bruder«, sagte sie.
    Als sie zu einer kleinen Hütte am Rand des anderen Endes der Stadt kamen, fühlte sie sich besser. Es war kaum mehr als ein Verschlag mit Wänden aus dünnen Brettern und einem mit Lehm gefüllten Flechtwerk, das sich an eine Seite schmiegte. Hühner pickten auf dem nackten Boden herum. Es waren dürre und schmutzige Viecher. Grace fragte sich, von welchem Nutzen sie wohl sein konnten.
    Adira öffnete eine Tür, und Grace folgte ihr. Die Luft war voller Rauch. Ein junger Mann, der höchstens ein oder zwei Jahre älter als Adira sein konnte, lag mit geschlossenen Augen auf einer Pritsche. Eine andere Gestalt beugte sich über ihn. Sie blickte bei Adiras Worten auf.
    »Ist die Herzogin also vom Schloß heruntergestiegen?« Die Stimme war wie der Rauch, der vom Feuer aufstieg – rauh und giftig. »Wird sie also dem Fieber befehlen, zu verschwinden?«
    »Sie wird mehr als das tun, Vayla. Sie ist eine Heilerin, und sie studiert bei der tolorianischen Königin.«
    Die Antwort bestand aus einem Schnauben.
    Die junge Magd bedeutete Grace, näher heranzutreten. Aber Grace stand wie gelähmt da. Sie sollte nicht hier sein, sie sollte so schnell sie nur konnte zum Schloß zurücklaufen, bevor man die Tore schloß und sie hier gefangen war. Dann fiel ihr wieder der Kranke ein. Das Entsetzen verflog, und sie näherte sich dem Bett. Dabei war sie sich bewußt, daß sie durch einen Schlitz in einem Vorhang beobachtet wurde. Der Rest von Adiras Familie. Sie hatten Angst vor ihr. Gut. So würden sie ihr wenigstens nicht im Weg stehen. Sie erreichte den Rand der Pritsche.
    »Was hat er?« fragte sie.
    »Was? Kannst du das nicht sagen, indem du ihn ansiehst, Herzogin?«
    Die in der Stimme liegende Härte ließ Grace zusammenzucken. Im Schloß wäre ein Diener, der so zu einem Adligen gesprochen hätte, geprügelt oder sogar noch schlimmer bestraft worden.
    Aber du bist nicht im Schloß, Grace. Du bist nicht mal eine echte Herzogin.
    Sie zog die Decke zurück und untersuchte den Mann. Er war nackt, seine Haut wächsern vor Schweiß. Er war klein, kaum größer als ein Meter sechzig, aber offensichtlich voll ausgewachsen. Daß die Männer im Vergleich zu den Frauen größer waren, war ein Resultat guter Ernährung. Bei einer hohen Belastungen unterliegenden Bevölkerung waren die Männer nur selten größer als die Frauen. In Gedanken machte Grace eine Bestandsaufnahme.
    Männlicher Weißer, schätzungsweise neunzehn Jahre alt, bewußtlos und unterernährt. Knochenbau gibt Hinweise auf Rachitis in der Kindheit. Schlecht gerichtete, aber verheilte Brüche der proximalen rechten Ulna und des distalen linken Radius sowie der medialen linken Clavicula. Zusätzlich zu diesem Unterarm- und Schlüsselbeinbruch Narbengewebe von einer Brandverletzung an der linken

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