Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
nicht leer. Er bückte sich und kam mit einem Umhang wieder hoch. Er war an den Rändern ausgefranst, aber er war dick und so grau wie die Kutte. Als er ihn in dem bleichen Licht bewegte, tanzten die Farben des Regenbogens über den Stoff wie ein Ölfleck auf einer Pfütze. Er warf sich den Umhang über die Schultern.
Eine schnelle Untersuchung förderte noch mehr Gegenstände zutage. Da war ein kleiner Beutel aus weichem Leder, der an einer Schnur befestigt war. Er war leer, aber Travis konnte sich seinen Zweck denken. Sorgfältig verstaute er die Silbermünze in dem Beutel. Er zögerte, dann nahm er den Knochentalisman – die Rune der Hoffnung – von seinem Hals, wickelte das Lederband darum und verstaute ihn ebenfalls in dem Beutel. Er zog ihn zu und hängte ihn sich um den Hals.
Als nächstes lag ein dicker Ledergürtel in dem Bündel, und er legte ihn an. Dann waren da seine geliebten Wildlederstiefel. Er zog sie sich an. Der letzte Gegenstand in dem Bündel war ein schmales Stilett, dessen Knauf aus einem blutroten Edelstein bestand. Er berührte die Messerspitze; ihre Schärfe ließ ihn zusammenzucken. Er steckte es in den Gürtel und schob es nach hinten, wo es vom Umhang verborgen wurde.
Es war Zeit zu gehen; er konnte nicht in der Hütte bleiben. Die Grabräuber wußten, daß er einen Unterschlupf suchen würde. Und es waren Männer, die den Umgang mit Leichen gewohnt waren. Eine mehr oder weniger würde ihnen nicht das mindeste ausmachen. Er ging zu der Mauerlücke. Dabei dachte er, daß es gut wäre, das Licht zum Erlöschen zu bringen, aber er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als es auch schon lautlos erlosch. Die Nacht stahl sich wieder in die Ruine. Travis bewegte sich in die andere Richtung.
Der Regen war zu einem leichten Nieseln geworden, der Donner verklang in der Ferne. Der Sturm endete, aber die Nacht schien dunkler als je zuvor. Rote Flecken tanzten vor ihm in der Luft. Sie verschwanden bei jedem Blinzeln, um danach einer nach dem anderen wieder in seinem Blickfeld aufzutauchen.
Er ertastete sich seinen Weg eher, als daß er ihn sah, und nach wenigen Schritten stolperte er durch eine Lücke im Unterholz. Vor ihm erstreckte sich ein heller Strich. Eine Straße. Er verspürte frische Hoffnung. Er wußte noch immer nicht, wo er war – zumindest nicht genau –, aber eine Straße bedeutete Menschen. Menschen, die ihm helfen konnten.
Travis betrat die Straße. Eigentlich war es mehr ein Pfad, der sich zwischen Bäumen und kleinen Felsen wand, aber man konnte ihm selbst in der Dunkelheit leicht folgen. Der Umhang hielt den Nieselregen ab, dafür strömte der Schweiß in Travis’ Augen und rann unter der Kutte seine Seiten hinab. Die Funken tanzten weiterhin vor seinen Augen, und langsam fragte er sich, ob er nicht vielleicht krank war, ob das der Grund dafür war, daß ihm das Denken und das sich Erinnern so schwer fielen.
Ja, genau, das mußte es sein. War da nicht etwas mit einem Fieber oder einer Krankheit gewesen? Da war ein Mann gewesen. Nein, kein Mann – ein Freund. Das Fieber hatte ihn verzehrt. Nur daß Travis jetzt Flammen sah. Es ergab keinen Sinn. Hatte der Mann, sein Freund – Travis schien sich nicht an seinen Namen erinnern zu können –, hatte der Mann ihn berührt? Er war sich nicht sicher, warum das so war, aber aus irgendeinem Grund schien das wichtig zu sein.
Vor ihm in der Dunkelheit blitzten hellere Funken auf, nur daß sie eher goldfarben als rot waren. Travis versuchte sie fortzublinzeln, aber diesmal flimmerten sie nicht. Schließlich wurden sie zu hellen Rechtecken. Fenster. Es waren Fenster, die von innen erleuchtet wurden.
Er hob den Kopf und entdeckte noch mehr Lichter in der Ferne. Eine Stadt? Vielleicht. Aber wenn es eine Stadt war, war sie zu weit entfernt. Seine Beine schmerzten, und sein Hals fühlte sich an, als hätte er eine Handvoll zerstoßenes Glas geschluckt. Er stolperte auf das in der Nähe liegende Gebäude zu. Wo Lichter waren, mußte es auch Menschen geben.
Travis blieb vor dem Gebäude stehen. Wäre da nicht die Helligkeit hinter den durchsichtigen Fenstern gewesen, hätte er es vermutlich für verlassen gehalten. Entlang der steinernen Fundamente wuchsen Disteln, und das Strohdach hing besorgniserregend durch. Über der Tür, deren Farbe abblätterte, hing ein Schild, aber falls es jemals Worte getragen hatte, machte die Dunkelheit sie zu einem Geheimnis. Trotz des Windes konnte er rauhe Stimmen und schallendes
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