Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
Himmel zuckte. Jedesmal riß Travis den Kopf hoch und versuchte einen schiefen Baum oder eine zusammengesackte Steinmauer zu entdecken – irgendeine Landmarke, an der er sich orientieren konnte. Wenn die Dunkelheit ihn dann wieder einhüllte, stolperte er weiter, in der Hoffnung, daß er sich von seinen Verfolgern fortbewegte und ihnen nicht in die Arme lief. Er konnte hinter sich keine Rufe hören, auch nicht das Stampfen von Stiefeln, andererseits übertönte sein Keuchen beinahe das Krachen des Donners und das Wüten des Sturms.
Gerade als er fühlte, daß Herz und Beine ihm ihre Dienste versagen würden, sah er es; das grünliche Licht eines Blitzschlags zeichnete seine Umrisse nach. Ein Blinzeln später war es wieder verschwunden, aber die Silhouette blieb bestehen, in seine Netzhaut eingebrannt: die kantigen Linien eines Gebäudes.
Travis war klar, daß er hätte weiterlaufen müssen, daß die Diebe nicht weit hinter ihm sein konnten. Aber er mußte sich ausruhen, und wenn es nur für eine Minute war. Seine Lungen fühlten sich an, als wären sie mit glühendem Blei gefüllt, dabei zitterte er am ganzen Leib, und seine Gliedmaßen schienen aus kaltem Lehm geformt zu sein. Er stolperte in Richtung des Hauses weiter.
Der nächste Blitz flackerte zu spät auf, um zu verhindern, daß er genau dagegen lief. Schmerz durchzuckte seinen Schädel, und er taumelte zurück. Aber bevor das Licht verblaßte, hatte er sich den gedrungenen Steinbau eingeprägt. Ein Teil der Wand war zerstört; ein Haufen Geröll türmte sich vor der Lücke auf. Wo war er? Er versuchte sich daran zu erinnern, welche Gebäude in der Nähe des Friedhofs Castle Height standen. Aber das war sinnlos, oder? Er spuckte in die Hand und betrachtete die halbierte Silbermünze. Das hier war nicht Castle City.
Eldh braucht dich, mein Sohn. Sie rufen dich bereits. Kannst du sie hören?
Nein, er befand sich an einem Ort, der sehr weit von Colorado entfernt war. Ein Kribbeln der Aufregung machte sich in seiner Brust breit, verwandelte sich aber schnell in ein Frösteln. Er mußte sich aufwärmen. Auf allen vieren kroch er über den Steinhaufen und kletterte in das Haus.
Die Hütte war kaum größer als drei Quadratmeter, der Boden war mit Erdklumpen und einer Art dornigem Gestrüpp bedeckt. Das Dach war größtenteils eingefallen, bedeckte aber noch eine Ecke, die relativ trocken war. Er duckte sich in dieser Ecke zusammen, drückte sich an die Mauer und versuchte, wieder zu Luft zu kommen. Es kam ihm so vor, als würde er heißes Wasser inhalieren. Aber einige Augenblicke später normalisierte sich sein Atem wieder.
Erst dann fiel ihm wieder das Bündel ein, das er noch immer unter dem Arm geklemmt hielt. Seltsam, er hielt es vor sich hin, konnte aber nicht erkennen, worum es sich handelte.
Du mußt sehen können, Travis. Mach dir Licht.
Die Stimme, die in seinem Kopf sprach, hätte ihn alarmieren müssen. Aber sie hörte sich so sehr nach seinem Freund Jack an, daß ihm statt dessen wärmer und weniger allein zumute war. Bevor ihm überhaupt klar wurde, was er da tat, murmelte er das Wort.
»Lir.«
Aus dem Nichts flammte ein perliger Schimmer auf und blieb in der Mitte der Hütte schweben.
Travis blinzelte; jetzt konnte er die Wände, die Zerstörung und die Dinge in seinen Händen genau sehen. Dumpfes Entsetzen ergriff von ihm Besitz. Was war das für ein Licht? Er mußte darüber nachdenken, verstehen, was er gerade getan hatte, aber jemand schien seinen Verstand in eine Decke gewickelt zu haben, die alles dämpfte.
Das Bündel war voller Schlamm, aber als er den Dreck wegwischte, fand er die Enden einer verknoteten Schnur. Er öffnete sie mit zitternden Fingern, dann setzte er das Bündel ab und wickelte es auseinander.
Die Außenseite des Tuchs mußte imprägniert sein, denn es war steif und knisterte, und es hatte den Schlamm und die Feuchtigkeit von den darin eingewickelten Dingen abgehalten. Travis strich über weichen Stoff. Dann hob er das zusammengefaltete Kleidungsstück hoch und schüttelte es auseinander. Es war einenebelgraue Kutte.
Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, er konnte aber nicht sagen, warum das so war. Nicht, daß es eine Rolle gespielt hätte. Sie war trocken und sah warm aus. Er zog sie sich über den Kopf – der Regen hatte ganze Arbeit geleistet und den Schlamm von seinem Körper gespült –, dann strich er den grauen Stoff glatt. Er seufzte. Die Kutte fühlte sich … richtig an.
Das Tuchbündel war noch
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