Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
verließ und von den Falten des Zaubers verschluckt wurde die den Monolithen umgaben.
Travis versuchte ein weiteres Experiment. Er sagte: »Hallo.«
Diesmal hallte das Wort durch die Luft, aber es klang gedämpft. Also brachte der Stein nur Runen zum Schweigen. Er wandte sich von dem Artefakt ab, und die Welt mit ihren Geräuschen schlug wieder über ihm zusammen.
Travis betrachtete den Stein. Warum stand vor dem Grauen Turm ein Objekt, in das die Rune der Stille gebunden war? Schließlich war das hier doch die Festung der Runensprecher. Wie sollten sie in der Stille ihre Magie wirken?
Er zuckte mit den Schultern. Der Stein würde ihm diese Frage mit Sicherheit nicht beantworten. Über ihm am Himmel näherte sich die Sonne ihrem Zenit; Bruder Larad würde auf ihn warten. Mit einem Seufzen ging er langsam zum Turm zurück.
Erst eine Woche nach dem Vorsatz, mit Oragien zu sprechen, erwischte Travis den Großmeister endlich allein.
»Ich habe heute nachmittag mit Bruder Eriaun gesprochen«, sagte Oragien, bevor Travis den Mund aufmachen konnte. »Er hält die Zeit für gekommen, daß Ihr damit beginnt, den Runenstein abzusuchen.«
Diese Worte trafen Travis völlig unvorbereitet. Er war eher zufällig im Refektorium auf den Großmeister gestoßen. Das war ein großer Raum mit Tischen und Bänken, die zur gleichen Zeit für dreihundert Runensprecher Platz boten. Aber nun kamen kaum ein Drittel davon zusammen. Travis war hungrig, und er war ins Refektorium gegangen, weil er hoffte, dort Himmel zu finden, wie er sich zusammen mit den anderen paar Dienern des Turms ums Abendessen kümmerte, und daß sich der junge Mann überreden ließ, sich vor der Zeit von einem Stück Käse oder einem Apfel zu trennen. Statt dessen fand er Oragien, der allein dasaß und ein einfaches Mahl aus Brot und Feigen zu sich nahm.
Endlich fand Travis seine Sprache wieder. »Den Runenstein wonach abzusuchen?«
»Natürlich nach dem Schlüssel.« Oragiens Augen waren so scharf und blau wie der Winterhimmel. »Der Schlüssel zum Sieg über die Krondrim.«
Travis starrte den Großmeister an. Der Mann im Saloon, der vor seinen Augen verbrannt war, hatte von einem Schlüssel gesprochen. Aber wie sah er aus?
Nimm dich in acht – es wird dich verzehren.
Konnte es sein, daß er sich verhört hatte? Daß der Mann in Schwarz ›Er wird dich verzehren‹ gesagt hatte? Daß es der Schlüssel war, vor dem er sich hüten sollte? Oder war gar die Rede von den Krondrim gewesen?
Travis holte tief Luft, dann stellte er die Frage, die ihn beschäftigte, seit er im Grauen Turm aufgewacht war. »Großmeister, Bruder Larad sagte, daß jemand den Runensprechern dabei half, mich nach Eldh zu rufen.«
»Bruder Larad sagt vieles«, antwortete Oragien, bevor Travis fortfahren konnte. Er sagte es nicht grob oder ärgerlich, sondern ganz sachlich.
»Aber Ihr hattet Hilfe, oder?«
Oragien nickte. »Und verändert das irgend etwas?«
»Nein, natürlich nicht.« Travis befeuchtete die Lippen. »Es ist nur … ich wollte bloß wissen, von wem.«
Zu Travis’ Überraschung lachte Oragien und schlug mit der knotigen Hand auf den Tisch. »Eine sehr gute Frage, Bruder Wilder. Und wenn Ihr Glück habt, werden sie sie Euch eines Tages auch beantworten. Nicht einmal ich bin mir sicher, daß ich die Antwort auf diese Frage tatsächlich weiß.«
Travis runzelte die Stirn. Das war nicht die Erwiderung, die er erwartet hatte. Er versuchte es noch einmal auf eine andere Weise. »Wenn die Runensprecher mich herbeibeschworen, warum erschien ich dann in dem Dorf unterhalb des Turms?«
Oragien seufzte, und die Heiterkeit schwand aus seinem faltigen Gesicht. »Ich weiß es nicht, Bruder Wilder. Es gibt vieles, das wir nicht mehr wissen. Der Runengesang, mit dem wir Euch herbeischworen, ist seit vielen Jahrhunderten nicht mehr benutzt worden. Er war sogar seit langem verloren und ist uns erst kürzlich wieder enthüllt worden.«
»Aber wenn Ihr nicht wußtet, wo ich auftauche, wieso wußtet Ihr dann, daß ich in der Schenke bin?«
Ein Hauch der Heiterkeit kehrte zurück. Oragiens Augen funkelten amüsiert. »Mein Sohn, ich bin der Großmeister. Wir haben vieles vergessen, aber ich habe noch immer meine Tricks.«
Travis kam zu dem Schluß, daß er keine weiteren Informationen mehr erhalten würde. Er sammelte sich, dann sprach er die Worte aus, die er die letzten sieben Tage geübt hatte. »Großmeister, ich sage dies voller Respekt, aber ich glaube nicht, daß ich die
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