Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
wiederfanden, an denen man sie ohne Fluchtroute umzingeln konnte wie an der tarrasischen Brücke, und diese Umwege kosteten Zeit.
Es fiel ihnen schwer, über die Geschehnisse an der Brücke zu sprechen. Aber vielleicht bestand auch einfach keine Notwendigkeit dazu. Sie alle waren Zeuge von Meridars schrecklichem Tod in der glühenden Umarmung des Krondrim gewesen. Und sie alle hatten hilflos zugesehen, wie sich Daynen für Tira opferte und selbst dann noch lächelte, als er durchs Feuer ging, um sie zu retten.
Unterwegs drückte Grace das kleine, magere Mädchen oft an sich. Eine hast du gerettet, Grace. Du weißt, daß das besser als keine ist. In der Notaufnahme hättest du es ein Patt genannt und weitergemacht.
Aber das hier war nicht die Notaufnahme. Nachts lag sie auf dem Rücken und starrte den roten Stern an, der tief am Himmel pulsierte, und versuchte um Daynen zu weinen. Aber ihre Augen waren eine Wüste, und sie hatte bereits vergessen, wie er ausgesehen hatte.
Obwohl sie auf der Hut blieben, begegneten ihnen unterwegs keine Krondrim mehr. Sie ritten quer durch Toloria, und Beltans Berichten zufolge hielten sich die Verbrannten am Fluß und in den Bergen auf.
»Oder in Grenznähe«, sagte Beltan eines Nachts, als sie neben einem Fluß kampierten.
Grace grunzte. »Was willst du damit sagen?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Zumindest nicht genau. Es hat den Anschein, als würden sie nach etwas Ausschau halten, oder nach jemandem. Nur daß es sich nicht an einem Ort befindet. Es ist unterwegs.«
»Natürlich«, sagte Aryn und schaute von dem Riß in ihrem Gewand auf, den sie gerade mit Nadel und Zwirn flickte. »Eine einfache Taktik. Wenn man etwas finden will, das überall sein könnte und aller Voraussicht nach auf der Reise ist, dann muß man die Grenzen zwischen zwei Domänen überwachen lassen.«
Grace starrte die Baronesse mit offenem Mund an. »Woher weißt du das denn, Aryn?«
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Ich bin das Mündel eines Königs, Grace. Gelegentlich höre ich aufmerksam zu.«
»Das erklärt ihre Bewegungen«, sagte Lirith und betrachtete das Lagerfeuer. »Es verrät uns aber noch immer nicht, was sie zu finden hoffen.«
Ihre Worte stießen auf Schweigen. Keiner von ihnen hatte eine Theorie, um das zu erklären.
Unterwegs ließ Grace Aryn nicht aus den Augen. Für die junge Frau waren die Monate seit der Wintersonnenwende eine düstere Zeit gewesen. Zuerst hatte sie Leothan in Selbstverteidigung mit der Weltenkraft getötet. Dann war Garf, der sie offensichtlich geliebt hatte, vor ihren Augen gestorben. Und schließlich hatte Meridar, der sie ebenfalls geliebt hatte, ihren Namen in dem Augenblick gerufen, in dem er dem Tod in die Arme gelaufen war. Grace hatte in der Notaufnahme Patienten in katatonischer Starre gesehen, die weniger durchgemacht hatten.
Aber so sehr Grace auch nach irgendwelchen Anzeichen für Kummer suchte, schien es der Baronesse besserzugehen als seit Monaten. Manchmal war Aryn traurig und nachdenklich, dann wieder ausgeglichen und glücklich. Von ihr ging Ruhe aus, sogar ein gewisses Selbstbewußtsein, aber in keiner Weise Stolz oder Überheblichkeit. Das affektiert auftretende Mädchen voller Heimlichkeiten, das diese Reise begonnen hatte, hatte den Dimduorn nicht mit ihnen zusammen überquert. Eine starke und edle junge Frau hatte das andere Ufer betreten.
Eines Abends wagte es Grace, sich Aryn zu nähern und sie zu fragen, wie sie über Meridar dachte.
Aryn senkte den Kopf, dann schaute sie auf, und in ihren saphirblauen Augen brach sich das letzte Licht des Tages. »Grace, er ist für mich gestorben. Ich habe ihn nicht darum gebeten, und ich habe es auch nicht gewollt. Aber er hat es getan, und ich kann es nicht ändern. Also muß ich stark sein. Für ihn. Denn wenn ich das nicht bin, was würde dann alles für eine Bedeutung haben?«
Grace wollte etwas erwidern, aber es gab keine Worte, die das, was die Baronesse gesagt hatte, besser hätten ausdrücken können. Aryn wurde erwachsen – und zwar richtig erwachsen. Aber vor ihr lag immer noch ein langer Weg und viele Lasten, die sie auf ihm würde tragen müssen, davon war Grace überzeugt. Mit einem Seufzer, der sowohl Freude wie auch Trauer hätte ausdrücken können, umarmte sie ihre Freundin. Ja, ihre Freundin, die beste, die sie auf zwei Welten hatte. Aryn erwiderte die Umarmung, und die Geste war nicht weniger stürmisch durch die Tatsache, daß sie nur mit einem Arm
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