Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
erfolgte.
»Ich liebe dich, Grace. Ich liebe dich von ganzem Herzen.«
Ich liebe dich auch, Aryn, wollte Grace mehr als alles andere sagen. Aber sie war schwach, und ihre Stimme ließ sie im Stich, also hielt sie die junge Frau nur noch fester.
Erst am nächsten Tag – dem vierten seit der Überquerung des Dimduorn – kam Lirith auf das zu sprechen, was Grace an der Brücke getan hatte.
Die Tolorianerin hielt sich mit keiner Vorrede auf. »Niemals zuvor ist die Weltenkraft so gewoben worden, Schwester.«
Überrascht ließ Grace das Messer fallen, mit dem sie Brot für ihr Essen geschnitten hatte. Lirith saß auf dem Boden und ließ sie nicht aus den Augen. Grace sah sich überrascht nach Aryn um, aber die pflückte in der Nähe mit Tira Blumen.
»Was meint Ihr damit?« Grace sprach betont leise. Durge und Beltan waren losgezogen, um Feuerholz zu sammeln, aber die Ritter waren nicht so weit weg, daß der Wind die Worte nicht zu ihnen herübertragen konnte.
Liriths Antlitz war so glatt wie Ebenholz, dennoch war die bestehende Anspannung keineswegs zu übersehen. »Die Besten von uns – und das sind nicht viele – können einige Fäden der Weltenkraft ergreifen und sie zu einem neuen Strang weben. Das ist ein großes Talent, aber die Magie, die wir damit erzeugen, ist nicht spektakulär. Wir können das Auge einen Schatten sehen lassen, den es nicht gibt, oder den Verstand eine Stimme hören lassen, die dem Ohr verschlossen bleibt. Das sind nützliche Dinge, zweifellos, auf ihre Weise auch mächtig, aber es sind Trugbilder.«
Aryn hatte aufgehört, so zu tun, als würde sie Blumen pflücken, und starrte Lirith an. Grace konnte sich nicht bewegen, als wäre sie in Stein verwandelt. Tira tanzte stumm in dem hohen Gras.
»Ich verstehe nicht«, brachte Grace schließlich hervor.
Ein flüchtiges Lächeln umspielte Liriths dunkelrote Lippen. »Ich auch nicht. Grace, was Ihr am Fluß getan habt, war kein Trugbild. Es war real. Ihr habt nicht die Weltenkraft gewoben. Es sah so aus, als hättet Ihr kaum ihre Fäden berührt. Statt dessen war es so, als hättet Ihr Euch in ein Gefäß verwandelt und einfach die Macht des Flusses durch Euch hindurchfließen lassen, um die Krondrim zurückzudrängen.«
Grace umklammerte den Messergriff. Vielleicht kam es Lirith seltsam vor, daß sie Magie auf diese Weise benutzt hatte, aber ihr war keine andere Wahl geblieben. Sie konnte die Weltenkraft nicht weben, da der Faden, der sie mit ihr verband, zu dem Schatten führte. Um die Weltenkraft zu erreichen, hätte sie zuerst den Schatten durchqueren müssen.
Sie sah wieder den pulsierenden Klumpen aus Finsternis vor ihrem geistigen Auge, und er nahm Gestalt an: vom Feuer geschwärzte Wände, zersplitterte Kuppeldächer und Fenster, die leeren Augen gleich auf nackte Berggipfel starrten. Nein – das war der Ort, an den sie der Lebensfaden führen würde, und sie konnte dort nicht hineingehen. Sie war ihm einmal mit ihrem nackten Leben und unbeschadetem Verstand entkommen; sie konnte nicht hoffen, es noch einmal zu schaffen.
»Ihr habt mir geholfen.« Grace war sich nicht darüber im klaren, daß sie laut gesprochen hatte, bis sie Liriths schockierten Gesichtsausdruck sah. Sie klammerte sich an den Worten fest. »Ihr habt mir geholfen, Lirith. So wie Aryn. Was ich da getan habe … ohne Euch hätte ich es niemals geschafft.«
Lirith kniff die Augen zusammen; ihre Überraschung wurde von etwas Undeutbarem ersetzt. »Ja, die Macht kam nicht nur aus dem Fluß. Da war noch eine andere Quelle.«
Ihr Blick glitt zu Aryn hinüber, die in der Nähe stand und mit der linken Hand die vergessenen Blumen zerdrückt hatte. Die Baronesse schluckte sichtlich, dann nickte sie Grace zu.
»Du blutest, Grace. Du hast dich geschnitten.«
Grace hob die Hand. Das Messer hatte ihren Finger geritzt, Blut rieselte in einem dünnen roten Strom herab.
»Ich hole ein Tuch«, sagte Lirith, und danach war der Zwischenfall am Fluß nicht mehr zur Sprache gekommen.
Und nun, drei Tage später – der sechste seit der Überquerung des Dunkelwein –, beendeten sie ihr karges Frühstück im Schutz der Anhöhe. Während die Sonne in den Himmel stieg, bereiteten sie sich auf die Reise vor.
Nachdem Grace ihren Proviant in Shandis’ Satteltaschen verstaut hatte, nahm sie ein paar Feldflaschen und begab sich zu dem Fluß, der unterhalb der Anhöhe verlief. Sie ging um eine kleine Ansammlung von Weiden herum und kam am Ufer eines klaren Teiches.
Als
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