Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
vergeben? Er hatte ihren Runenstein zerbrochen, ihre letzte Verbindung mit der Vergangenheit zerstört. Hatte er sie wirklich gerettet? Oder hatte er nur ihr unausweichliches Aussterben beschleunigt? Er blieb vor Oragien stehen. Zu seiner Überraschung lächelte der alte Mann »Wißt Ihr, Ihr könnt Euch glücklich schätzen, Freunde wie Falken Schwarzhand und Lady Melia zu haben. Unter den Brüdern vertraten einige die Meinung, daß Ihr bleiben und uns dabei helfen solltet, den Runenstein wieder zusammenzusetzen. Aber die beiden hatten überzeugende Argumente vorzutragen, daß Ihr woanders gebraucht werdet.«
»Das heißt, ich bin frei, ich kann gehen?«
»Ja, Bruder Wilder, Ihr dürft gehen. Der Nullstein ist gespalten, alle Urteile gegen Euch sind nichtig.« Der Großmeister strich mit den knotigen Fingern über den uralten Runenstab. »Aber wer von uns ist schon wirklich frei?«
Travis wußte nicht, was er darauf antworten sollte, darum schwieg er.
Dann drückte ihm Oragien trotz seiner Proteste den Runenstab in die Hand, und Travis spürte die Macht, die ihn durchströmte.
»Benutzt ihn im Guten und nur dann, wenn es nötig ist, Runenmeister«, sagte Oragien. »Und wenn Ihr könnt, kehrt zu uns zurück.«
Danach drehte sich der Alte um und verließ das Gemach.
Travis blieb noch eine Weile in dem Chorgemach stehen und lauschte dem Echo der Worte der Vergangenheit. Aber falls sie eine Botschaft für ihn hatten, konnte er sie nicht verstehen. Er verließ das Gemach und verbrachte die nächste Stunde damit, den Turm nach jener anderen Person zu durchsuchen, von der er sich verabschieden wollte. Aber Himmel war nicht aufzuspüren.
»Vielleicht wurde er woanders gebraucht«, sagte Melia später am Abend, als Travis sie fragte, ob sie den jungen Mann gesehen hätte. Sie schaute nicht von der Arbeit auf und flickte weiter Beltans Umhang.
Travis hielt das für eine seltsame Antwort, aber vielleicht hatte sie ja recht. Melia hatte meistens recht. Schließlich gab er seine Suche auf, hoffte aber, Himmel eines Tages wieder zu begegnen, um ihm dann für seine Freundlichkeit zu danken.
Seltsamerweise war Himmel nicht die einzige Person, die im Turm verschwunden war. Zur Verblüffung aller war auch Bruder Eriaun gegangen. Der kleine dicke Runensprecher war das letzte Mal gesehen worden, kurz nachdem Travis den Nullstein gespalten hatte. Travis hoffte, daß der kurzsichtige Mann nicht im Halbdunkel in den Abgrund gestürzt war. Aber von ihm war keine Spur entdeckt worden – obwohl die Runensprecher ihre Suche noch nicht abgebrochen hatten. Travis wünschte sich von ganzem Herzen, daß mit Eriaun alles in Ordnung war.
»Das wird heute ein heißer Tag.«
Travis blinzelte, als Durges Worte ihn in die Gegenwart zurückholten. Er ließ den in Filz eingewickelten Stab los.
»Du solltest dich besser an die Hitze gewöhnen«, sagte Falken. »Unterwegs wird es nur noch heißer.«
Eigentlich hätte Travis den Barden gern nach dem Ziel ihrer Reise und Suche gefragt, aber er wußte es besser. Falken würde es ihm sagen, wenn er dazu bereit war. Bis jetzt hatte er sie nur soviel wissen lassen, daß es mit einem der Imsari zu tun hatte, den drei Großen Steinen – und zwar demjenigen, den man Krondisar nannte.
Travis schaute zur Sonne hoch. Er wußte nun genug über Runen, um das Wort übersetzen zu können. Der Stein des Feuers.
»Travis, hilfst du mir?«
Melia stand neben ihrer weißen Stute. Travis eilte zu ihr und verschränkte die Finger, damit sie ihn mit ihrem kleinen Stiefel als Trittleiter benutzen konnte. Als sie im Sattel saß rückte sie ihr Überkleid zurecht, bis der Stoff in eleganten Wellen herunterfloß. Travis griff nach einer ihrer Satteltaschen, um die Schnalle zu schließen …
… und sie zischte ihn an.
Er riß die Hand zurück, war aber nicht schnell genug, um zu verhindern, daß nadelscharfe Krallen seine Haut aufschlitzten und rote Linien zurückließen. Er hob die brennende Hand an den Mund, dann sah er das schwarze Haarknäuel, das mit großen goldgelben Augen aus der Satteltasche schaute.
»Du!«
Das Kätzchen schnurrte und leckte mit seiner rosafarbenen Zunge sorgfältig die winzige Pfote sauber.
Aber das kann unmöglich dasselbe Kätzchen sein, das sie auf Calavere hatte, Travis. Diese Katze dürfte mittlerweile ausgewachsen sein.
Trotzdem musterte Travis das Kätzchen mißtrauisch. Etwas sagte ihm, daß er sich auf dieser Reise vorsehen mußte, wenn er sie mit heilen Schienbeinen
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