Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
routinierten Bewegungen unter sein Wams und tastete mit kühlen Fingern. Beltan holte zischend Luft, sein ganzer Körper versteifte sich. Sie machte mit ihrer Untersuchung weiter. Die Wunde hatte sich nicht wieder geöffnet, aber sie hätte den kleinen Finger für ein tragbares Röntgeng erät gegeben, um feststellen zu können, ob es innere Verletzungen gegeben hatte.
Aber es gibt eine Möglichkeit, wie du das feststellen kannst, Grace.
Bevor sie der Mut verließ, griff sie nach der Gabe. Wie schon auf dem Dorfanger von Falanor und an der Brücke über den Dimduorn mied sie ihren Lebensfaden und ergriff statt dessen den leuchtenden goldenen Strang, der Beltan gehörte. Schnell untersuchte sie die Schwäche in seinem Bauch. Ja, es hatte innere Blutungen gegeben, aber sie hatten bereits aufgehört. Er war außer Gefahr. Sie ließ seinen Lebensfaden los …
… und erblickte aus dem Augenwinkel einen Schatten. Furcht krallte sich in ihr Herz. Hatte sie aus Versehen doch ihren eigenen Faden ergriffen? Aber nein, der Schatten war kleiner und weniger dicht als der Schatten, von dem sie wußte, daß er in ihr lauerte, und er war auch nicht mit ihrem Faden verbunden. Er gehörte Beltan. Sie sah genauer hin. Etwas bewegte sich im Herzen des Schattens: zwei blutverschmierte Hände lösten sich vom Griff eines Dolches.
»Grace?«
Der Faden entglitt ihr. Sie blinzelte, und die normale Sicht kehrte zurück.
Beltan runzelte die Stirn. »Was ist los, Grace?«
Sie zog sein Wams herunter. »Die Stelle, an der deine Muskeln von den Feydrim zerfetzt wurden, ist noch immer sehr schwach. Das bedeutet, daß du sie leicht wieder verletzen kannst. Ich glaube, diesmal ist es noch glimpflich abgegangen, aber beim nächsten Mal kann es anders ausgehen. Ich weiß, daß das bei deinem Handwerk alles andere als einfach sein wird, aber du mußt vorsichtiger sein.«
»Es tut mir leid, Grace.«
»Entschuldigung angenommen.« Sie strich ihm das weiß blonde Haar aus der hohen Stirn. »Du mußt besser auf dich aufpassen, Beltan von Calavan. Wir brauchen dich hier. Und zwar wir alle.«
Ein seltsamer Ausdruck trat in seinen Blick. »Wirklich?« Seine Stimme war leise. »Ist das die Wahrheit?«
Grace starrte ihn an. Da war noch etwas anderes, was dem Ritter Qualen bereitete, was nichts mit der alten Wunde in seiner Seite zu tun hatte. Aber was? »Beltan«, sagte sie aufgrund einer Eingebung, »als ich in deine Wunde blickte, habe ich noch etwas anderes gesehen. Und zwar das Bild zweier Hände. Sie waren blutverschmiert und ließen gerade einen Dolch fallen.«
Beltan runzelte die Stirn. »Das ist aber seltsam. Ich frage mich, warum ausgerechnet du das sehen solltest.«
»Worum geht es denn dabei?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das ist ein alter Traum, den ich manchmal habe. Falls er etwas zu bedeuten hat, weiß ich aber nicht, was es sein könnte. Und ich hatte den Traum auch schon lange nicht mehr.«
Sie wollte nachhaken, aber er kam ihr zuvor.
»Wir sollten gehen, Grace. Die anderen kommen zurück.«
Sie erhob sich, dann streckte sie die Hand aus, um ihm auf die Beine zu helfen. Beltan zögerte, dann ergriff er die angebotene Hand. Er verzog gequält das Gesicht, und sie schätzte, daß sie mindestens hundert Kilo Ritter hochzog, aber mit vereinten Kräften gelang es ihnen, ihn auf die Füße zu holen.
Als Grace und Beltan das Lager erreichten, fanden sie die anderen in einem Halbkreis stehend vor, wie sie etwas mit offenstehenden Mündern anstarrten. Grace blinzelte verwirrt, dann entdeckte sie den Grund für dieses Verhalten und starrte selbst. An ihrem Lagerfeuer saß ein älterer Mann in einer schneeweißen Kutte und machte sich eine Tasse Maddok.
Durge zog das Breitschwert vom Rücken. Das schleifende Geräusch ließ den alten Mann aufsehen.
»Nun, das ist nicht nötig, junger Mann«, sagte er mit sanfter Stimme. »In dem Topf ist genug für alle.«
Durge verharrte mitten in der Bewegung; auf seiner Miene zeichnete sich Überraschung ab, aber Grace vermochte nicht zu sagen, ob sie von der Frechheit des ungebetenen Gastes verursacht wurde oder von der Bezeichnung ›junger Mann‹. Bevor sie weitere Überlegungen anstellen konnte, stürmte eine kleine, in Blau gekleidete Gestalt herbei.
»Tome!«
Der Alte kam gerade noch rechtzeitig gelenkig auf dir Füße, um Melia in Empfang zu nehmen, die sich ihm in die Arme warf.
»Mein liebes Kind, wie schön, dich wiederzusehen, und das so bald.«
Grace schüttelte den Kopf. Sie
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