Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
Sie verstärkte den Griff um seine Hand.
Tomes struppige Brauen zogen sich zusammen, als er die Stirn runzelte. »Ich schätze, du weißt, daß man der Weisheit der Drachen mit Mißtrauen begegnen muß, Falken.«
»Aber sie sagen die Wahrheit, oder?« flüsterte Beltan, mehr zu sich selbst als an den Alten gerichtet.
»Nein«, widersprach Tome. »Drachen sagen ihre Version der Wahrheit.«
Beltan schüttelte den Kopf, schwieg aber.
»Danke, Tome«, sagte Melia. Tira war auf ihren Schoß geklettert, und die Lady streichelte ihr Haar, während sie ins Feuer schaute. »Dieses Wissen wird uns helfen. Auch wenn ich den Eindruck nicht abschütteln kann, daß ich alles schon viel früher hätte erkennen müssen. Dakarreth war schon immer bösartig und launisch, schon lange bevor der Fahle König die Imsari dazu benutzte, die Nekromanten an sich zu binden.«
Durge runzelte die Stirn. »Ihr sprecht beinahe so, als hättet Ihr ihn persönlich gekannt, Lady Melia.«
Ihre bernsteinfarbenen Augen blitzten auf. »Ich habe ihn gekannt.«
Travis hätte nicht zu sagen vermocht, wie er zu dem Schluß kam. Vielleicht war es das Resultat Hunderter anderer Hinweise – Dinge, die Melia gesagt und getan hatte –, die zusammen mit diesem letzten Puzzlestück endlich ein klares und verblüffendes Bild ergaben. Ein Bild, das er nie erwartet hätte, und doch ergab es einen perfekten Sinn.
Er starrte Melia über die tanzenden Flammen hinweg an. »Ihr seid eine von ihnen, nicht wahr?«
»Eine von was?« grollte Durge.
»Eine der Neun.« Bevor die anderen etwas sagen konnten, wandte sich Travis dem alten Mann in der weißen Kutte zu. »Und Ihr auch. Melia hat gesagt, daß ihr alte Freunde seid.« Verrücktes Gelächter stieg in ihm auf. »Sie hat nur nicht gesagt, wie alt.«
Aryn schüttelte den Kopf. »Wovon sprecht Ihr, Travis?«
»Sie sind Götter, Aryn. Oder sie waren es. Bis sie nach Eldh kamen, um gegen die Nekromanten zu kämpfen.«
Die Baronesse riß die Augen weit auf. Sie starrte Falken an. Der Barde nickte nach einem langen Augenblick – so wie Beltan und Lirith.
»Warum, Melia?« Travis drohte an den Worten zu ersticken, aber er brachte sie trotzdem heraus. »Warum habt Ihr uns nie verraten, wer Ihr wirklich seid?«
»Und hast du mir verraten, wer du wirklich ist, mein Bester?«
Er schlug sich mit der Faust aufs Knie. Nein, das reichte nicht. »Falken, warum hast du nichts gesagt?«
Melias Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, aber es war ein trauriger Ausdruck. »Aber Falken hat seine eigenen Geheimnisse, mein Bester. Schließlich bin ich nicht die einzige, die Dakarreth kannte.«
Travis starrte den Barden an. »Wovon spricht sie? Wie kannst du Dakarreth gekannt haben?«
Falken schwieg so lange, daß Travis schon dachte, er würde niemals antworten. Dann hob der Barde die Hand mit dem Schwarzen Handschuh. »Das hat mir Dakarreth angetan.«
Keiner sagte ein Wort. Sie konnten ihn nur anstarren. Falkens Stimme war so bitter wie Gift.
»Du mußt wissen, er nahm meine Hand als Belohnung. Und als Erinnerung. An die Rolle, die ich unabsichtlich auf seinen Befehl hin spielte – denn ich hatte bei dem Tod eines Königreichs meine Hand im Spiel.«
»Von welchem Königreich sprecht Ihr, Falken?« fragte Durge leise.
Der Barde ballte die behandschuhte Hand zur Faust und stieß ein einzelnes, knirschendes Wort aus. »Malachor.«
Melia legte die Hand auf seine Faust, ihre Augen schimmerten traurig. »Du darfst dich dafür nicht verantwortlich machen.«
Falken senkte die Hand. »Nein, dafür sind andere zuständig.«
Aryn raffte den Stoff ihres Reitgewandes mit der linken Hand zusammen. »Aber das ist unmöglich. Malachor fiel vor siebenhundert Jahren.«
»Ja«, sagte Tome. »Das ist richtig.«
»Natürlich.« Travis nahm es völlig ruhig auf. »Falken von Malachor. So hast du dich damals im Winterwald mir vorgestellt. Was bedeutet, daß du …«
»Siebenhundertzweiundvierzig Jahre alt bist«, vollendete der Barde den Satz mit einem humorlosen Lachen. »Und, fühlst du dich jetzt besser, wo du die Zahl kennst?«
»Aber wie ist das möglich?« wollte Grace wissen.
Falken zuckte mit den Schultern. »Auch das war ein Teil von Dakarreths Belohnung. Daß ich niemals sterbe, damit ich mich für alle Ewigkeit an die Taten erinnere, die die Hand verübte, die ich verloren habe.«
Melia nahm den Barden in die Arme, und die beiden legten die Köpfe aneinander, während Tome mit Tränen in den Augen zusah.
Mitleid
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