Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
Desiderats doch akzeptiert, oder?«
Farr hatte Denver am Morgen zuvor für einen schnellen Abstecher nach London verlassen. Deirdre hatte ihn gedrängt, seinen Fall mit elektronischen Mitteln vorzutragen, aber er hatte darauf bestanden, sich persönlich dorthin zu begeben. Was nur wenig Sinn machte, denn soweit sie wusste, hatte noch nie jemand direkt mit den Philosophen gesprochen, nicht einmal Farr. Die Führer der Sucher standen mit ihren Leuten immer in Kommunikation, aber sie blieben außer Sicht, in Geheimnis und Anonymität gehüllt. So war es während der fünfhundertjährigen Geschichte der Sucher immer schon gewesen.
Doch Farr hatte es für besser gehalten, nach London zurückzukehren. Immerhin demonstrierte es seine Hingabe an die Sache. Und offensichtlich hatte es funktioniert. Trotz ihrer direkten Verletzung des Dritten Desiderats – Ein Sucher beobachtet, greift aber nicht ein – würde es keinen Verweis der Philosophen geben.
Nicht, dass Deirdre der Meinung war, dass sie oder Farr mit ihrer Reise nach Denver einen Fehler begangen hatten. Schließlich hatte Grace Beckett sie gerufen und nicht umgekehrt. Allerdings waren die Neun Desiderate keineswegs so verfasst worden, dass sie irgendwelchen Spielraum nach welcher Seite auch immer boten. Das Dritte Desiderat sollte Suchern verbieten, direkt mit außerweltlichen Objekten in Kontakt zu treten, um jegliche Kontamination ihres Verhaltens zu verhindern.
Glücklicherweise hatten die Feldagenten der Sucher die Neigung, ein cleverer und findiger Haufen zu sein, darum war es auch beinahe vier Jahrhunderte her, dass einer von ihnen, Marius Lucius Albrecht, als Erster das Neunte Desiderat zu seiner Verteidigung bemüht hatte: Was auch geschieht, kein Sucher darf eine andere Person zu Schaden kommen lassen.
Albrecht hatte sich dem Rauswurf von den Suchern gegenübergesehen, weil er Kontakt mit einer Frau aufgenommen hatte – einigen Geschichten zufolge hatte er sich in sie verliebt –, die außerweltliche Verbindungen hatte. Doch er hatte bewiesen, dass sie in Lebensgefahr geschwebt und er gar keine andere Wahl gehabt hatte, als einzugreifen.
Was auch geschieht …
Natürlich hatte Deirdre oft genug gehört, wie unter ihren Agentenkollegen getuschelt wurde, dass Hadrian Farr dazu bestimmt war, der nächste Marius Lucius Albrecht zu werden. Daher war es vielleicht nur passend, dass er das Neunte Desiderat bemüht hatte – zum dritten Mal in seiner Karriere. Und es bestand nicht der geringste Zweifel, dass Grace Beckett und Travis Wilder in Gefahr schwebten. Genau wie ihr außerweltlicher Freund, der Mann, den sie Beltan nannten. Die Philosophen hatten gar keine andere Wahl gehabt, als Farr einen Dispens zu gewähren.
Deirdre stand auf und ging zu Farr herüber. »Ich verstehe nicht, warum Sie aufgebracht sind, Hadrian. Die Philosophen sind Ihrer Meinung.«
»Ja, das sind sie. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es sein sollten.« Er beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt. »Sie sind die Philosophen, Deirdre. Die gefürchteten, allmächtigen, schrecklich unflexiblen und geheimnisvollen Philosophen. Bei Gott, eigentlich hätten sie sich wenigstens etwas dagegen wehren sollen, finden Sie nicht? Stattdessen gewähren Sie mir meinen Dispens, ohne auch nur länger als einen Augenblick darüber nachzudenken. Trotz ihres ganzen Theaters wegen der Geschichte und dem Gewicht der Pflichten scheinen sie ohne weiteres willens zu sein, einen Sucher, eine Gesellin und ein paar Leibwächter ins Feld zu schicken, um Duratek im offensichtlich wichtigsten Fall dieses Jahrhunderts die Stirn zu bieten.«
»Vielleicht haben sie Vertrauen in uns«, sagte Deirdre mit einem Schulterzucken.
»Nun, ich bin mir nicht sicher, dass ich Ihre Meinung teile.« Er wühlte neben dem Sesselpolster umher, fand das zweite Fläschchen und schaffte es diesmal, den Verschluss zu öffnen. Er leerte es zur Hälfte.
Deirdre runzelte die Stirn. »Also reicht es nicht, das Dritte Desiderat zu brechen? Jetzt nehmen Sie auch noch Nummer sechs aufs Korn. Ein Sucher soll nicht zulassen, dass sein Urteilsvermögen beeinträchtigt wird.«
»Ach, gerade Sie müssen aus dem Buch zitieren. Und Sie können mir nicht weismachen, dass Sie damals, als ich Sie in Soho gefunden habe, Crème de Menthe getrunken haben.«
Sie bemühte ihren unschuldigsten Gesichtsausdruck, den sie während einer ihrer Feriensommer in Irland ihrer Großtante, einer strenggläubigen Katholikin, abgeschaut
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