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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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die Quelle seiner plötzlich zu neuem Leben erwachten Macht. Das Schloss polterte zu Boden, die Drahttür schwang auf.
    Begleitet von einem Geräusch, das an leises, aus weiter Ferne ertönendes Glockenspiel erinnerte, schwebte der Elf aus dem Käfig. Die vier Menschen sahen mit angehaltenem Atem zu.
    Bei der letzten Wintersonnenwende hatte Travis auf Schloss Calavere die Macht von Sinfathisar, dem Stein des Zwielichts, dazu benutzt, eine Gruppe von Phantomschatten zu heilen, sie wieder zu den Elfen zu machen, die sie einst gewesen waren. Sie waren ihm zur Schattenkluft gefolgt, und dort hatten sie Beltans Leben gerettet.
    Diese Elfen waren große, leuchtende Wesen gewesen, die so hell strahlten, dass er sie kaum hatte anschauen können. Aber der Elf, der da vor ihm stand, war nur ein Schatten dieser Wesen. Er war so dünn – viel dünner als Beltan, es hatte fast den Anschein, als bestünde er aus Zweigen –, und seine Haut wies ein stumpfes Grau auf. Der Kopf schien viel zu groß für den dürren Hals zu sein, und er war nackt. Travis konnte genau sehen, dass er weder männlich noch weiblich war.
    Trotzdem war er wunderschön. Travis ließ sich vor ihm auf die Knie nieder.
    Der Elf streckte die spinnenhaften Arme aus und berührte ihn mit kühlen Fingern, und plötzlich stand er wieder. Aber die Furcht war verschwunden. Stattdessen erfüllte ihn ein kühler Frieden.
    »Wie …?« Grace drückte die Hände an die Brust. »Wie kann er hier sein?«
    »Sie hielten ihn gefangen«, sagte Beltan. »So wie mich. Sie haben mit ihm Experimente gemacht.«
    Noch während Beltan dies sagte, fiel Travis’ Blick auf die dünnen, weißen Narben auf den zerbrechlichen Armen des Elfen.
    »Er muss zusammen mit dem Scirathi durch das Tor gekommen sein«, sagte Vani nachdenklich.
    Der Elf nickte. Dann erschütterte ein Zittern seine Gestalt, so wie ein Windstoß an einer Baumkrone rüttelte. Er war hier so dunkel, sein Leuchten wurde gedämpft. Der Aufenthalt auf der Erde verursachte ihm Schmerzen – schreckliche Schmerzen.
    Der Elf griff mit zitternder Hand nach dem Käfig, riss sie aber zurück, als er den Metallrand berührte. Ein hoher und doch lautloser Schmerzensschrei ertönte. Er wollte etwas haben – etwas aus dem Käfig.
    Grace kniete nieder, griff hinein und richtete sich wieder auf. Sie hielt eine Plastikflasche in der Hand. In der Flasche waren purpurfarbene Pillen, die mit einem weißen Blitzsymbol gekennzeichnet waren.
    Grace schaute zu dem Elfen hoch, dann nickte sie steif, drehte den Verschluss ab und hielt ihm die Flasche hin. Der Elf nahm mit den langen, zitternden Fingern drei der Pillen. Er schien zu zögern, dann führte er sie an den lippenlosen Strich seines Mundes und schluckte sie. Er fuhr sich mit der Hand über die edelsteinähnlichen Augen. Als er die Hand wieder senkte, war der Schmerz aus seinem Blick verschwunden.
    »Diese Bastarde!« Grace sah sich die Pillen an. »Darum haben sie sie entwickelt. Sie sind für sie, um sie hier auf der Erde am Leben zu halten.« Sie sah Travis gequält an. »Electria ist für Elfen.«
    Der Lichtelf legte eine gertenschlanke Hand an ihre Wange. Grace keuchte auf und riss die Augen auf. Langsam hob sie die Hand und führte sie an die graue Wange des Wesens.
    Von der Hinterseite des Lastwagens ertönte ein Ruf: Es war eine tiefe, melodische Stimme. Mitchell.
    »Ihr solltet euch da drinnen lieber beeilen. Sie haben in den letzten Minuten die Köpfe unten gehalten, aber so wie es aussieht, bekommen wir seltsame Gesellschaft.«
    Das Geräusch eines Gewehrs ertönte, das durchgeladen wurde.
    Travis drehte sich um und erwiderte Vanis Blick. Sie nickte.
    »Vani und ich werden gehen«, sagte er. »Grace, bleib bei Beltan und dem Elfen.«
    Der blonde Ritter machte einen unsicheren Schritt nach vorn. »Ich komme mit dir, Travis. Ich bin dein Hüter.«
    Travis zögerte, dann legte er Beltan eine Hand auf die Brust. »Nein, Beltan«, sagte er sanft. »Heute nicht.«
    Der Ritter stöhnte auf, dann stolperte er zurück und stützte sich auf eine Kiste. Mitleid durchfuhr Travis’ Herz. Er wollte zu dem Ritter gehen, ihn in den Arm nehmen, aber dafür war jetzt keine Zeit.
    »Travis!«
    Das war Davis’ Stimme. Travis und Vani begaben sich ans Ende des Lastwagens und sprangen hinaus.
    Es war nicht schwer, das Problem zu erkennen. Davis und Mitchell standen mit angelegten Gewehren da. Einen Augenblick später huschten die Kreaturen an der Zugmaschine des nächsten Lastwagens

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