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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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fauchte nicht weit entfernt von Graces Kopf vorbei. Die fünf drückten sich an die Rückseite des Aufliegers, außer Sicht der Zugmaschine. Langsam schaute Davis an der einen Seite vorbei, und Mitchell an der anderen.
    Zwei fast gleichzeitige Gewehrschüsse donnerten auf. Eine Sekunde später ertönte das Geräusch zweier zuschlagender Türen.
    »Ich glaube, unsere Freunde haben sich entschieden, eine Zeit lang im Führerhaus zu bleiben«, sagte Davis, dessen Grinsen wieder in seiner alten Pracht da war.
    »Beobachten Sie diese Richtung«, sagte Vani. »Ich bewache den hinteren Teil des Fahrzeugs.«
    Die Luft flimmerte, und sie war verschwunden.
    Davis stieß einen Pfiff aus. »Wie, zum Teufel, macht sie das?«
    »Behalte deinen Mann im Auge«, sagte Mitchell.
    »Ich dachte, du wärst mein Mann.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    Die beiden Cowboys hielten ihre Gewehre bereit und beobachteten das Vorderteil des Sattelschleppers. Grace hörte, wie sich Schritte näherten. Dann ertönte ein leiser, gurgelnder Schmerzensschrei, der abrupt verstummte. Vani war irgendwo da draußen.
    »Wir müssen diese Türen aufkriegen«, sagte Grace.
    Travis versuchte es mit dem Riegel. Er rührte sich nicht; der Anhänger war verschlossen. Panik ergriff Grace. Was sollten sie nur tun?
    Bevor sie etwas sagen konnte, drückte Travis beide Hände auf die Türen. Er senkte den Kopf, schloss die Augen und biss die Zähne zusammen.
    »Urath«, murmelte er.
    Grace wartete, aber es tat sich nichts. Es war sinnlos. Genau wie die Weltenkraft war auch seine Runenmagie auf der Erde zu dünn und zu schwach. Travis stolperte von dem Lastwagen fort.
    Die Türen schwangen auf.
    Sie schaute verblüfft zu. »Aber ich dachte …«
    Er hielt ungläubig die rechte Hand hoch. Auf der Handfläche funkelte ein Symbol, als wäre es mit flüssigem Silber dort aufgemalt worden: drei Linien.
    »Etwas ist anders hier«, sagte er. »Meine Macht – sie ist hier stärker.«
    »Was geht da vor, Travis?«, fragte Mitchell, der noch immer konzentriert nach vorn schaute.
    Er sah Grace an; sie nickte.
    »Wir gehen rein.«
    Travis trat mit einem Fuß auf den hintersten Reifen, dann kletterte er in den Wagen. Er hielt Grace die Hand hin. Sie ergriff sie und kletterte hinter ihm hinein.
    Sie war von der Annahme ausgegangen, dass es im Inneren stockdunkel sein würde. Aber das war es nicht. Eine weiche, metallische Helligkeit erfüllte die Luft, auch wenn sie nicht feststellen konnte, wo sie ihren Ursprung nahm. Der Auflieger war ein Chaos aus großen Stahlkisten. Viele waren bei dem Bremsmanöver des Lastwagens verrutscht und umgestürzt.
    Ein leises Stöhnen ertönte. Grace drehte sich um, dann sah sie es. In einer der Kisten befand sich ein Loch, durch das eine Hand emporragte.
    Travis stieß das Wort empört aus. »Beltan!«
    Er und Grace erreichten die Kiste im gleichen Augenblick.
    Grace ergriff die große, knochige Hand des Ritters. »Beltan, wir sind hier. Wir werden einen Weg finden …«
     … die Kiste zu öffnen, wollte sie sagen, aber das war unnötig. Diesmal brüllte Travis die Rune.
    »Urath!«
    Die Kiste flog förmlich auf. Was auch immer die Runenmagie beeinflusste, hier drinnen war es noch stärker.
    Grace ließ die Hand los. Sie verschwand in dem Loch. Dann kroch etwas mit zitternden Bewegungen aus der Kiste und richtete sich langsam auf: eine hoch gewachsene, hagere, aber wunderbar vertraute Gestalt.
    Wie in dem Dämmerlicht zu sehen war, grinste er, und trotz der eingefallenen Wangen und dem unebenen Bart und den Ringen unter den Augen war sein Gesicht in diesem Augenblick so wunderschön, dass es Grace den Atem raubte.
    »Beltan«, sagte Travis, dessen Stimme zu einem Flüstern herabgesunken war.
    Das Grinsen des Ritters verwandelte sich in ein Stirnrunzeln. »Bei Vathris, was ist mit dir passiert, Travis Wilder?«
    Und Grace sah tränenüberströmt zu, wie Travis den großen Mann in die Arme riss und zudrückte, als wollte er nie wieder loslassen.

15
    Travis nahm Beltan noch fester in die Arme. Der blonde Ritter war in der Vergangenheit stets so stark, so unbesiegbar erschienen. Doch nun fühlte sich Beltan unter dem fadenscheinigen Laborkittel dünn und schrecklich zerbrechlich an. Travis war klar, dass er ihn ohne weiteres hätte in die Arme nehmen und tragen können, falls das erforderlich gewesen wäre. Aber vielleicht war das ja ganz richtig so. Vielleicht war er jetzt der Beschützer.
    »Travis«, sagte Beltan mit heiserer Stimme.

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