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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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zerzausten blonden Bart klebte. »Morndari?«
    »Die Durstigen«, flüsterte Grace.
    Der Ritter sah sie immer noch verwirrt an. Travis würde es ihm später erklären. Wenn das Sprechen keine solche Anstrengung mehr darstellte.
    Vani schlich zur Gassenmündung und spähte hinaus. »Kommt her, näher an die Sonne heran. Sie wird euch wärmen. Ich glaube nicht, dass man unsere Ankunft bemerkt hat, was gut ist.« Sie schaute zurück. »Mein Volk ist immer zu dieser Jahreszeit in Tarras, also müssen wir davon ausgehen, dass auch die Scirathi da sind.«
    Diese Worte sandten einen neuen Schauder über Travis’ Rücken. Also gab es hier Zauberer.
    »Keine Sorge, Travis, die Auswirkungen des Tores werden bald abgeklungen sein.«
    Vani musste den Grund seines Zitterns missverstanden haben. Sie griff mit einer starken Hand zu und half ihm auf die Beine. Dann strich sie ihm mit einer sanften Bewegung das Eis von der Wange.
    Ein leises Grunzen ertönte hinter Travis. Grace hatte Beltan auf die Füße geholfen. Der Ritter stand mit gebeugten Schultern da und stützte sich mit einer knochigen Hand an der Häuserwand ab. Seine grünen Augen waren auf Travis und Vani gerichtet, sein abgezehrtes Gesicht war eine schmerzerfüllte Grimasse. Travis trat von ihr fort; plötzlich war ihm ganz warm, obwohl er nicht ins Sonnenlicht getreten war. Er suchte nach Worten.
    Licht strahlte auf – nicht auf der Straße vor der Gasse, sondern aus ihrer Tiefe. Das Licht gewann an Stärke, und ein heller Laut hallte durch die Luft. Dann verfestigte sich das Licht zu einer hoch gewachsenen, schlanken, schimmernden Gestalt.
    Sofort vergaß Travis die Schmerzen in seinen Gliedmaßen, vergaß die Furcht, die ihn erfüllte. Er schaute in uralte, abgründige Augen und fand einen Augenblick lang Frieden.
    Das dürre, graue Wesen, das sie aus dem Stahlkäfig befreit hatten, war noch immer da – Travis konnte es inmitten des strahlenden Lichts erkennen –, aber es stand jetzt kerzengerade da, größer als Travis oder Beltan, gertenschlank wie eine Weide. Es war nicht länger nackt, sondern in Licht gekleidet, so dass es den Anschein hatte, als trüge es eine blitzende Robe und eine Krone aus weißem Feuer.
    »Ihr wart das«, flüsterte Travis. »Ihr habt mir das Tor im Nichts gezeigt.«
    Der Elf nickte, obwohl die Geste nicht ein Ja bekundete, sondern tausend Worte, die in keiner Sprache ausgesprochen werden konnten. Erneut betrachtete Travis den Stein des Zwielichts in seiner Hand. Er schien den Feenglanz aufzufangen und ihn zu einem graugrünen Schleier zu spinnen.
    Beltan machte einen taumelnden Schritt auf den Elfen zu. »Euch geht es jetzt gut. Ich freue mich, das zu sehen.«
    Der Elf schwebte Beltan entgegen. Mit einem schlanken Finger berührte er eine kleine, runde Verletzung am Arm des Ritters, dann drehte er seinen eigenen Arm. Sie waren fast unsichtbar und gingen im Licht fast unter, aber Travis konnte sie trotzdem sehen: lange, weiße Narben.
    Beltan stieß ein Keuchen aus. »Bei Vathris, das haben sie getan. Sie haben Euer Blut in mich reingepumpt.«
    Wieder nickte der Elf. Beltan taumelte, stürzte zu Boden. Der Ritter war noch immer so schrecklich dünn. Sowohl Grace als auch Travis griffen nach ihm, aber sie waren zu langsam.
    Der Elf fing Beltan mit den schlanken Armen auf und hielt ihn in einer sanften Umarmung fest. Der Ritter schaute mit weit aufgerissenen Augen nach oben. Stränge aus weißem Licht lösten sich aus dem Elfen, schwebten in rotierenden Spiralen durch die Luft und schlangen sich um seinen Körper.
    Jetzt stolperte Beltan zurück, aber er fiel nicht. Er stand stocksteif da, die Arme an die Seiten gepresst, während ihn das Licht immer schneller einwickelte und dabei zusehends an Helligkeit gewann. Es sah so aus, als wäre Beltans Haut so durchsichtig wie Glas. Travis konnte die Muskeln darunter arbeiten sehen, dann das schlagende Herz des Ritters. Dann wurde selbst das Fleisch durchsichtig, und seine Knochen hoben sich von dem grellen Schein ab. Das Licht blitzte auf und tauchte alles in seiner Umgebung in weiße Glut – und erlosch.
    Die Schatten eroberten die Gasse zurück, und Travis keuchte erstaunt auf.
    Beltan hielt mit offen stehendem Mund die Hände ausgestreckt. Der Labormantel hatte sich wie das Eis unter der Macht des Lichts in Luft aufgelöst. Beltan war nackt. Travis wusste, dass er nicht hätte starren sollen, aber er konnte seinen Blick nicht abwenden. Der Ritter war nicht länger abgemagert, sondern

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