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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Nicht, dass das eine Rolle spielte; sie hätte sich so ein Gefühl sowie nicht vorstellen können. Sie konnte sich an keinen Augenblick ihres Lebens erinnern, an dem sie so mühelos gelacht, andere mit solcher Hingabe umarmt oder sich zugleich so beschwingt und erfüllt gefühlt hatte.
    Die Symptome sind klar, Frau Doktor. Du freust dich. Nicht gerade etwas, an das du gewohnt bist, das mag sein, aber soweit ich weiß, ist es nicht lebensbedrohend. Eines Tages könntest du dich vielleicht sogar daran gewöhnen.
    Sie hoffte nicht.
    Es gab viele Umarmungen und hemmungsloses Durcheinandergerede. Tatsächlich sogar so viel, dass sie Blicke von den Passanten auf sich zogen und der Mann, den Vani Sareth genannt hatte – und der seinen scharf geschnittenen, dunklen Zügen nach zu urteilen offensichtlich der Bruder war, nach dem sie gesucht hatte –, sie alle in einen im Schatten liegenden Park drängte, damit sie sich abseits der Sonnenglut und der öffentlichen Aufmerksamkeit unterhalten konnten.
    So froh Grace auch war, ihre Freunde wieder zu sehen, gab es etwas anderes, das sie unbedingt umarmen wollte, nach dem sie sich die ganzen Monate auf der Erde verzehrt hatte. Als sie in die grüne, feuchte Luft des Parks trat, schloss sie die Augen, griff zu und berührte mit Hilfe der Gabe die Weltenkraft.
    Ein Schauder durchfuhr sie. Auf der Erde war sie so verschlissen und schmutzig gewesen, dass Grace ganz vergessen hatte, wie wunderbar sie war. Die Spinnenfäden des Lebens waren um sie herum zu einem komplizierten, leuchtenden und perfekten Netz verwoben …
    Nein, Grace. Es ist nicht perfekt …
    Sie zögerte, dann fing sie an, prüfend zu tasten. Etwas stimmte nicht – ihre sämtlichen Instinkte als Ärztin sagten ihr das. Aber was war es? Jeder Faden, den sie berührte, war hell und makellos. Dann begriff sie. Im Krankenhaus hatte sie gelernt, dass es manchmal nicht das war, was man sah, sondern das, was man nicht sah. Dann sah sie sie – kleine, dunkle Stellen im Netz, Orte, an denen die Stränge hätten leuchten müssen, die stattdessen aber leer waren.
    Grace, alles in Ordnung?
    Das war Aryns Stimme, die in ihrem Geist erklang. Mit den noch immer geschlossenen Augen konnte Grace Aryn ganz klar sehen; die Umrisse der jungen Frau schimmerten im hellblauen Licht ihres Lebensfadens.
    Ich … ich bin mir nicht sicher, schaffte es Grace zu antworten.
    Jetzt gesellte sich Lirith zu ihnen; ihre Umrisse schimmerten nicht so hell, aber die Farbe war wärmer, und sie waren viel schärfer konturiert.
    Ihr könnt es sehen, Schwester, nicht wahr? Den Makel in der Weltenkraft?
    Grace bemühte sich um eine Erklärung. Nicht genau. Alles, was ich spüre, ist perfekt. Aber es ist, als würde ich nicht alles fühlen, das ich müsste. Es ist, als würden einige der Fäden der Weltenkraft fehlen.
    Sie fühlte Traurigkeit von Lirith ausgehen. Und Furcht.
    Ich weiß, wo sie hin sind, Schwester …
    Liriths Faden erreichte Graces und verband sich damit. Bilder blitzten in ihrem Inneren auf, und einen Augenblick lang sah sie ihn in seinem ganzen Schrecken: den zuckenden und sich windenden Knoten in der Weltenkraft.
    Sie riss die Augen auf und starrte Aryn und Lirith an. »Was ist das?«
    Lirith seufzte. »Ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe mit Melia gesprochen, und sie glaubt, es hat etwas mit den Dingen zu tun, die hier in Tarras geschehen.«
    Grace verstand nicht. »Aber wovon sprecht Ihr? Was passiert in Tarras?«
    In ihrer Erschütterung hatte sie laut gesprochen, und Falken antwortete ihr.
    »Das ist eine gute Frage, Grace. Ihr seid zu einer finsteren Zeit zurückgekehrt. Ich weiß nicht, wie ich es schnell erklären soll. Hm, Götter sind ermordet worden, und zwar drei von ihnen, und wir sind auf dem Weg zum Kaiser, um etwas dagegen zu unternehmen.«
    »Nein«, sagte ein tiefe Stimme.
    Alle Augen wandten sich Sareth zu.
    »Ihr dürft nicht zum Palast gehen. Die Gefahr ist dort viel zu groß für euch. Ihr müsst die Stadt sofort verlassen.«
    Durge sah den dunkelhaarigen Mann finster an. »Warum habt Ihr uns verfolgt? Seid Ihr nicht der Grund für die Gefahr?«
    Vani stellte sich neben Sareth. »Sareth, was geschieht hier?«, fragte sie besorgt. »Und was ist dir passiert?«
    Ihr Blick huschte nach unten. Unwillkürlich schloss sich Grace ihr an. Seine Pluderhosen verbargen es ganz gut, aber der Art und Weise nach zu urteilen, in der er sich bewegte, vermutete sie, dass die Amputation direkt unterhalb des Knies erfolgt

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