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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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einen Schluck, verzog das Gesicht und schluckte tapfer.
    Aryn rümpfte die Nase. »Beltan, der Heiltee, den sie für Euch gemacht hat, riecht abscheulich. Wie könnt Ihr das nur trinken?«
    »Sie hat gesagt, ich müsste das austrinken oder sie würde mich mit einem Va’ksha belegen, der meinen …« Seine Wangen verfärbten sich blutrot, und er hob hastig den Becher für den nächsten Schluck.
    Vani ging auf den Wagen zu.
    »Meine Al-Mama wird euch jetzt euer Schicksal vorhersagen«, sagte Sareth zu Grace und Lirith. »Sie hat die anderen schon gesehen.«
    Lirith wandte sich ab und verschränkte die Arme über der Brust. »Ich bleibe hier. Ich kenne mein Schicksal bereits.«
    Sareth betrachtete Liriths Rücken, aber Grace konnte den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht deuten.
    »Hier entlang«, sagte er zu Grace, und sie folgte ihm und Vani zu dem Wagen.
    Es dauerte einen Augenblick lang, bis sich Graces Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, das in dem voll gestellten Inneren herrschte. Dann konnte sie eine dürre, vogelähnliche Gestalt ausmachen, die in Decken gehüllt war.
    Die Frau, die da auf der Bank lag, war uralt. Eine akkurate Schätzung ihres Alters war ohne eingehende Untersuchung unmöglich, aber Grace war davon überzeugt, dass sie älter als hundert war. Ihre Arme waren wie verdorrte Stöcke und ihre Nase wie ein Geierschnabel. Aber ihre Augen blickten so hell und klar wie der Vollmond.
    »Sareth, geh«, befahl die alte Frau ächzend.
    Grace hörte, wie sein Holzbein draußen auf die Treppenstufen auftraf, dann war er verschwunden. Sie öffnete den Mund, unsicher, was sie sagen sollte, und doch davon überzeugt, dass sie etwas sagen sollte.
    »Mach den Mund zu, Mädchen, und lass dich ansehen«, sagte die Alte mit ihrer strengen Stimme.
    Grace gehorchte.
    »Hm.« Die Alte biss mit ihrem allem Anschein nach letzten übrig gebliebenen Zahn auf einen Finger. »Nun, für jemanden, der so viel zu tun hat, bist du dünner, als ich gedacht hätte. Doch der äußere Anblick kann täuschen, nicht wahr?« Sie lachte gackernd und berührte ihren beinahe haarlosen Schädel. »Und jetzt gib mir deine Hand.«
    Grace zögerte, aber ein knochiger Arm schoss vor, und dünne Finger packten ihr Handgelenk mit überraschender Kraft und zogen sie vorwärts. Die Alte drehte Graces Hand um, damit die Handfläche nach oben zeigte, und brütete darüber. Sie lachte wieder gackernd.
    »Ja, ja, ich kann es in dir sehen. Du bist stark, Mädchen – vielleicht am Ende sogar die Stärkste von allen. So viele von ihnen werden zerbrechen, bevor es vorbei ist, aber du nicht, Mädchen. Am Ende wirst du es sein, die die anderen zerbricht. Das ist dein Schicksal.«
    Grace rang nach Luft. Nein, die Alte irrte sich. Sie war nicht stark. Sie war innerlich gebrochen wie ein Gegenstand, den man benutzt, beschädigt und dann zur Seite geworfen hatte. Selbst in diesem Augenblick konnte sie den Schatten sehen, der am Rand ihres Blickfelds pulsierte und der so hungrig war wie die körperlosen Wesen, die sie im Nichts zwischen den Welten erblickt hatte. Sie riss die Hand zurück.
    Die Alte grunzte. »Glaube nur ja nicht, ich würde es nicht sehen können, Mädchen. Dunkelheit lastet auf dir, viel schwerer als auf jedem der anderen, Erinnerungen an das, was einst war. Jene, die behaupten, dass die Vergangenheit einen nicht verletzen kann, sind Lügner. Sie kann alles auffressen, was man ist, und nur eine leere Hülle zurücklassen. Aber« – die Alte beugte sich vor und zeigte mit dem Finger auf Graces Brust – »nur dann, wenn du es zulässt, Mädchen!«
    »Aber Ihr habt gesagt, dass Ihr an das Schicksal glaubt«, stieß Grace mühsam hervor. »Was ist, wenn ich keine andere Wahl habe?«
    »Bah!« Die Alte winkte angeekelt ab. »Schicksal ist bloß, was du daraus machst, Mädchen. Jeden Tag treffen wir tausend Entscheidungen. Gehe ich nach rechts oder nach links? Trinke ich Wasser oder Wein? Schicksal ist, wohin uns am Ende all diese Entscheidungen hinführen. Es ist nicht weniger, aber auch nicht mehr. Nur weil du dem Schicksal nicht entkommen kannst, bedeutet das doch nicht, dass du es nicht formen kannst!«
    Grace wollte erneut den Kopf schütteln, zögerte dann aber. Vielleicht waren die Worte der Alten ja doch nicht so verrückt. Schließlich klang es weniger nach Magie als vielmehr wie nach Chaos-Theorie.
    Aber Chaos-Systeme sind hoffnungslos kompliziert, und das weißt du auch. Zahllose Faktoren arbeiten auf unvorhersehbare Weise

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