Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
und Sareth hatten sich für ein ruhiges Abendessen unter vier Augen entschieden, und Aryn wünschte sich, sie wäre ihrem Beispiel gefolgt. Als die Diener den Nachtisch auftrugen, starrte sie ihn freudlos an. Die süße Masse war in die verschiedensten Formen gestaltet worden. Aryn hatte einen Drachen bekommen.
Eine Erinnerung geisterte durch ihren Kopf. Und hier sind zwei Töchter Sias, beide dazu verdammt, ihre Schwestern und ihre Herrin zu verraten …
Wusste Ivalaine, dass sie das Muster verraten hatten? Hatte sie sie deshalb abgewiesen? Aryn zerschlug den Drachen mit einem Löffel, dann verließ sie die Tafel.
Sie wanderte eine Zeit lang durch die Schlosskorridore und fand sich schließlich vor Sareths Gemach wieder.
Du solltest sie nicht stören.
Aber sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, da öffnete sich die Tür, und sie stand Lirith gegenüber.
»Was ist, Schwester?«, fragte die Hexe. »Stimmt etwas nicht?«
»Nein, alles in Ordnung.« Aryn verzog das Gesicht. »Mal davon abgesehen, dass Grace in die Letzte Schlacht gezogen ist, Beltan und Vani aufgebrochen sind, um Travis Runenbrecher zurück nach Eldh zu holen, und Königin Ivalaine nicht mal mit uns spricht. Oh, und ich werde mit einem Prinzen verheiratet, der mich nicht ausstehen kann. Aber sonst ist alles in bester Ordnung.«
Sareth – der am Feuer saß – lachte. »Nun, ihr könntet genauso gut reinkommen und eine Tasse Maddok trinken. Es hört sich nicht so an, als würdet Ihr diese Nacht auch nur eine Minute Schlaf finden.«
Aryn glaubte das auch nicht. Sie trat ein, blickte sich dabei aber um. »Ich … störe doch bei nichts, oder?«
»Nur bei meinem Abschied für den Abend«, sagte Lirith energisch. »Aber du kennst mich – mich kann man immer zu noch einer Tasse Maddok überreden.«
Es wurden zwei Tassen, nicht nur eine, und Aryn war froh um die Gesellschaft. Sareth bot ihr den Stuhl am Feuer an, und Aryn setzte sich und trank die heiße, würzige Flüssigkeit. Das Letzte, worüber sie sich unterhalten wollte, waren die aktuellen Geschehnisse, also erzählte Sareth Geschichten aus dem alten Amún und der sagenhaften Stadt seiner Vorfahren, Morindu der Finsteren. Aryn versuchte sie sich vorzustellen – eine Stadt, in der nur Zauberer wohnten. Was für ein seltsamer, schattenbeladener und wunderbarer Ort es gewesen sein musste.
Es wurde spät. Die Frauen verabschiedeten sich von Sareth, dann gingen sie gemeinsam zu ihren Gemächern. Aber Aryn fand es merkwürdig, dass Lirith nicht bei ihm blieb.
Ihre Gedanken mussten lauter als beabsichtigt gewesen sein.
»Es gibt keinen Grund für mich, bei ihm zu bleiben«, sagte Lirith leise.
Aryn sah sie schockiert an. »Ich verstehe nicht. Liebst du ihn denn nicht so, wie er dich liebt?«
»Das tue ich, aber …« Lirith zögerte, dann ergriff sie Aryns Hand. Für uns gibt es keine Hoffnung, Schwester. Ich kann ihm kein Kind schenken, wie es eine Frau sollte. Und seit der Dämon ihm das Bein genommen hat, ist er nicht mehr zu dem im Stande, was ein Mann mit einer Frau im Bett tun sollte.
Das versetzte Aryn einen Stich. Gibt es denn keinen Zauber, der euch helfen könnte?
Ich habe es mit allem versucht, aber falls es eine Magie gibt, die einem von uns helfen könnte, so liegt sie jenseits meiner Fähigkeit.
Das spielt doch keine Rolle, Lirith. Ihr liebt euch, und sicherlich bedeutet Liebe mehr, als zusammen zu liegen oder Kinder zu machen. Sie muss es einfach.
Lirith ließ Aryns Hand los und lachte bitter. »Bei seinem Volk spielt die Liebe keine Rolle. Seine Gesetze verbieten ihm, außerhalb seines Clans zu heiraten. Eines Tages wird er zu ihm zurückkehren. Und an dem Tag wird er mich verlassen. Gute Nacht, Schwester.«
Lirith betrat ihr Gemach und schloss die Tür. Aryn konnte nichts tun, als zu ihrem eigenen Gemach zu gehen.
Sie machte sich Vorwürfe. Du bist kleinlich und selbstsüchtig, Aryn von Elsandry. Verglichen mit dem, was Lirith und Sareth durchmachen, sind deine Probleme lächerlich. Du wirst also Prinz Teravian heiraten, und? Er ist mürrisch, ja, aber du könntest es viel schlimmer treffen. Davon abgesehen ist es ja nicht so, dass du in jemand anderen verliebt wärst.
Aber aus irgendeinem Grund verursachte dieser letzte Gedanke ein seltsames Gefühl in ihr, und ihre Hand zitterte, als sie nach dem Türriegel ihres Gemachs griff. Der Maddok war daran Schuld, keine Frage. Sie hätte nicht so viel davon trinken sollen; jetzt würde sie niemals
Weitere Kostenlose Bücher