Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
mehreren Tagen eingetroffen. Sie waren mit prächtigen Rüstungen und guten Schwertern ausgestattet, denn einige der wohlhabendsten Kaufleute der Freien Städte waren Gönner von Vathris. Auch die Männer aus Tarras trafen nun ein, und am Vortag hatte die erste Gruppe aus Al-Amún auf weißen Pferden mit schlanken Hälsen das Schloss erreicht.
Die Männer waren so stolz und exotisch wie die Pferde, die sie ritten. Ihr Haar war lang und schwarz, auf ihrer dunklen Haut schimmerte Gold und Lapislazuli. Aryn hielt sie für genauso wild, wie sie ansehnlich waren. Sie salutierten König Boreas mit Krummschwertern, und er lud sie ins Schloss ein.
Wenn sich der König mit seinen Kriegern im Großen Saal traf, waren Frauen unerwünscht, und Aryn ging davon aus, dass das doppelt für Hexen galt. Sie verfügte auch nicht länger über Aldeth als Spion. Aber ihr standen andere Möglichkeiten zur Verfügung, wenn sie etwas beobachten wollte. Sie hatte einen kleinen Amethyst mit einem Zauber belegt und ihn in einem günstigen Augenblick in einer Nische in der Nähe des Königsthrons zurückgelassen.
Spät in der Nacht, als sie sich sicher gewesen war, von niemandem gesehen zu werden, hatte sie sich in den Großen Saal geschlichen und den Edelstein geholt. In ihrem Gemach hatte sie ihn dann vor eine Kerze gehalten, und in seinen vielen Facetten hatte sie nicht ihr Spiegelbild gesehen, sondern den Großen Saal.
Sie sah zu, wie die Männer aus Al-Amún vor den Thron traten, und der Edelstein schien in ihrer Hand zu summen, als die Worte, die sie und der König austauschten, in ihrem Bewusstsein erklangen.
Ihr seid meinem Ruf schneller gefolgt, als ich gehofft hatte, sagte König Boreas.
Einer der Männer verbeugte sich vor ihm, dann sprach er mit einem starken Akzent. Ich muss gestehen, Großer Mann von Vathris, ursprünglich haben wir die Straße nach Norden nicht wegen Eures Rufes betreten.
Boreas hob eine Braue, und ein anderer Mann trat vor.
Eine Vision trat in unsere Träume, sagte er. Darin erschien Vathris und sagte uns, dass die Letzte Schlacht naht und dass sie nicht im Süden stattfindet, sondern in den eisigen Ländern des Nordens. So begannen wir unsere Reise, und Eure Botschaft erreichte uns erst, als wir die Segel setzten, um das Sommermeer zu überqueren, und da wussten wir, dass unsere Visionen die Wahrheit verkündeten.
Und wie viele mehr kommen noch von euch?, fragte Boreas.
Der Mann, der als Erster gesprochen hatte, lachte. Wir sind nur die Ersten von vielen. Sie versammeln sich bereits schneller in den Häfen, als die Schiffe sie über das Meer tragen können, und so bauen sie mehr Schiffe. Uns folgt ein gewaltiges Heer, ein Heer so groß, wie es die Welt nie zuvor gesehen hat. Das Ende aller Dinge naht, und jeder wahre Anhänger Vathris' würde eher sterben, als den Ruf zum Krieg zu ignorieren. Was macht es schon, wenn Scheitern unser Schicksal ist? Im Kampf werden wir einen Ruhm erfahren, der größer als alles andere ist.
Diese Worte erfüllten Aryn mit Ehrfurcht und Entsetzen, und der Amethyst rutschte aus ihren Fingern und zerbrach, als er auf dem Boden landete. Es spielte keine Rolle; sie hatte genug gehört. Die Prophezeiungen stimmten. Die Krieger von Vathris würden kommen, sie würden zur Letzten Schlacht marschieren. Und sie würden geschlagen werden.
Aber wieso soll das überhaupt einen Unterschied machen, wenn sie dazu verdammt sind, sowieso zu verlieren?
»Da seid Ihr ja, Schwester«, sagte eine warme Stimme und riss sie zurück in die Gegenwart. »Ich dachte mir schon, dass ich Euch hier finde.«
Aryn schaute auf und sah Mirda den Wehrgang entlanggehen. Die Hexe trug nur einen dünnen Umhang gegen die Kälte, und ihr buntes Gewand flatterte im Wind. Sie blieb neben ihr stehen. Aryn lächelte, aber dann verblasste ihr Lächeln.
»Was ist, Schwester?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, trotz allem, was passiert ist, wollte ich noch immer glauben, dass alles nichts weiter als eine Geschichte ist. Aber es ist keine Geschichte, oder? Die Letzte Schlacht kommt, wenn sie nicht schon bereits begonnen hat.« Aryn streckte den Arm aus. »Seht – da kommen noch mehr Krieger zum Schloss.«
Mirda seufzte. »Ihr habt Recht, Schwester. Es ist nicht nur eine Geschichte, sosehr Ihr oder ich uns das vielleicht auch wünschen. Vor uns liegen finstere Zeiten, aber noch besteht Hoffnung, dass wir auf der anderen Seite das Licht finden.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Seid Ihr so sicher, dass
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