Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
Sie wussten jetzt, dass sie gegen den Feind bestehen konnten.
Nicht übermütig werden. Diese Schlacht zu gewinnen war eine Leistung, aber fünfzig Feydrim und zwei Phantomschatten sind nur ein Tropfen im Ozean. Wie viele tausend mehr werden in der Schattenkluft auf uns warten?
Sie betrachtete die dunklen Wolken, die sich am nördlichen Horizont sammelten. Sie pulsierten mit einem kränklichen, grün-gelben Schimmer, als würden sie von schwefelhaltigen Feuern erhellt.
»Was ist, Euer Majestät?«, fragte Durge.
Erst bei seinen Worten wurde ihr bewusst, dass sie geseufzt hatte. Sie sah den Ritter an, der in der Nähe ritt.
»Wir reiten nach Norden, Durge. Jeder Schritt bringt uns näher an Imbrifale heran. Näher an seine Domäne.«
»Das bringen Reisen so mit sich.«
Sie schüttelte den Kopf. »Was denn?«
»Einen an sein Ziel zu bringen.« Durge wollte sich an die Brust greifen, dann senkte er die Hand wieder und legte sie auf den Oberschenkel.
Grace befeuchtete sich die Lippen. »Es ist wieder dieser Schmerz.«
»Es ist nichts, Mylady.«
Sie wollte mehr sagen, aber in diesem Augenblick donnerte Sir Tarus auf seinem Schlachtross auf sie zu.
»Ich wollte Euch nur Bescheid sagen, dass wir bald unser Lager aufschlagen, Euer Majestät«, sagte der rothaarige Ritter. »Aldeth hat gesagt, dass die Spinnenleute bereits nach einem brauchbaren Platz suchen.«
Grace legte die Arme um Tiras warmen Körper vor ihr. »Ich glaube, dass in dieser Gegend kein Platz passend ist, Tarus.«
Das Land um sie herum war zerklüftet und unfruchtbar, eine Reihe flacher Ebenen, die von tiefen Schluchten durchzogen wurden. Den ganzen Tag wehte ein bösartiger Wind aus den Bergen zu ihrer Linken und schnitt wie ein kaltes Messer durch Wolle und Leder. Grace freute sich darauf, so nahe an einem prasselnden Feuer sitzen zu können, wie es möglich war, ohne selbst die Flammen zu füttern.
Kurze Zeit später trat Aldeth aus einem Schatten und ließ sie wissen, dass man einen Lagerplatz gefunden hatte. Sie erreichten ihn in dem Augenblick, in dem die Sonne hinter den Bergen versank: eine flache Ebene hinter einer Klippe, die einen guten Schutz vor dem Wind bot. Die Männer waren bereits dabei, Zelte aufzubauen und Latrinen zu graben. Eine Gruppe hielt in ihrer Arbeit inne, hob die Fäuste und jubelte, als Grace vorbeiritt. Die Männer taten das oft in letzter Zeit, seit dem Kampf, und Grace wusste nie genau, wie sie darauf reagieren sollte. Sie entschied sich für ein schiefes Lächeln und ein unbehagliches schüchternes Winken.
Durge half Grace von Shandis' Rücken herunter, und Tarus hob Tira aus dem Sattel. Er wollte sie absetzen, aber das Mädchen warf die Arme um seinen Hals und hielt ihn fest.
»Ich glaube, sie mag Euch, Sir Tarus«, sagte Durge.
Grace kam näher. »Nein, seht sie euch an. Sie hat Angst – darum will sie nicht abgesetzt werden.« Sie berührte Tiras Wange. »Was ist denn, mein Schatz?« Aber das stumme Mädchen konnte – wollte – nicht antworten. Es vergrub bloß das Gesicht an Tarus' Schulter und hielt ihn nur noch fester.
Grace erwiderte Durges Blick. »Etwas stimmt nicht.«
»Ich glaube, da habt Ihr Recht, Euer Majestät«, sagte da eine Frau.
Grace keuchte auf, als Samatha mit einem Schwung ihres silbrigen Umhangs mitten aus dem Nichts zu erscheinen schien.
»Was ist los, Sam?«, sagte Grace und gab sich alle Mühe, ihr Herz wieder herunterzuschlucken, damit es zurück an Ort und Stelle kam.
Das mausähnliche Gesicht der Spinnenfrau war vor Sorge ganz verkniffen. »Zwei unserer Brüder werden vermisst. Wir alle sind vor ein paar Stunden aufgebrochen, um einen Lagerplatz zum Übernachten zu finden, aber Henrin und Wulther sind nicht zurückgekehrt.«
Das waren ungewöhnliche Neuigkeiten. Es sah einem Spinnenmann nicht ähnlich, verloren zu gehen, nicht einmal in so unwegsamem Gelände, und Grace konnte sich nicht vorstellen, dass einer von ihnen in eine Schlucht fiel.
»Wo ist Aldeth?«, fragte sie.
»Er hat sich auf die Suche nach den Vermissten gemacht. Leris und Karthi helfen ihm. Ich wollte Euch darüber informieren, was passiert ist, aber jetzt muss ich Aldeth bei der Suche helfen.«
Grace nickte, und Samatha setzte sich in Bewegung, aber bevor sie sich in den Nebelmantel hüllen konnte, ertönte auf der anderen Seite des Lagers ein Schrei. Mehrere Männer hatten sich versammelt und riefen. Grace warf den anderen einen Blick zu, dann liefen sie auch schon los.
Die versammelten
Weitere Kostenlose Bücher