Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen. »Was denn, damit du mich benutzen kannst, ist es das, was du meinst? Ich weiß, dass du mich die ganzen Jahre beobachtet hast, dass du versucht hast, eine Möglichkeit zu finden, wie du mich für deine Zwecke benutzen konntest.«
Die Frau legte eine Hand auf die Brust. »Du weißt viel. Und doch so viel weniger, als du glaubst. Vielleicht wollte ich dich einst benutzen, auch wenn meine Absichten ehrenvoll waren. Aber das ist vorbei. Meine Gedanken gelten allein noch dir. Ich will, dass du diese Sache nicht für sie tust, sondern nur für dich selbst. Darum bin ich gekommen.«
»Ich wünschte, ich könnte das glauben.«
Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Du musst mir vertrauen.«
»Dir vertrauen?« Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, er ballte die Faust. »Wie kann ich dir vertrauen, wo du mich die ganzen Jahre darüber belogen hast, wer du wirklich bist, wer ich wirklich bin? Du bist nicht besser als er. Warum sollte ich einem von euch vertrauen, Mutter?«
Aryn erstarrte. Mutter? Wovon sprach er da bloß? Bevor sie weiter rätseln konnte, griff die Frau mit zitternden Händen nach oben und warf die Kapuze des Umhangs zurück. Im Mondlicht war ihr flachsfarbenes Haar farblos, Tränen strömten ihre glatten Wangen hinunter.
»Vertraue mir, weil ich dich liebe, mein Sohn«, sagte Königin Ivalaine. »So, wie ich dich immer geliebt habe, selbst wenn ich dir nicht die Wahrheit sagen konnte.«
Teravian lachte. »Jetzt lügst du schon wieder. Aber ich bin kein Kind mehr. Du kannst mich nicht mehr täuschen so wie früher.«
»Bitte«, sagte Ivalaine. »Bitte wende dich nicht von mir ab, Teravian. Du bist alles, was ich noch habe.«
Er sah sie berechnend an. »Dann hast du nichts, Mutter.«
Der Prinz drehte sich um und verließ die Lichtung. Er ging direkt an Aryn vorbei, und er zögerte nicht. Die Schatten nahmen ihn auf, und er war verschwunden.
»Geht«, zischte Ivalaine, deren Tränen trockneten.
Sie starrte Aryn direkt an. Aber das war unmöglich. Sie musste Teravian gemeint haben.
»Ich sehe Euch, Hexe«, sagte Ivalaine schneeweiß vor Wut. Sie zeigte mit einem zitternden Finger auf Aryn. »Geht und spinnt Eure bösen Fäden mit Eurem Schattenzirkel und lasst mich in Ruhe!«
Entsetzen durchflutete Aryn. Die Welt wurde zu einem dunklen Schemen, sie fühlte einen scharfen Ruck in ihrem Inneren. Sie riss die Augen weit auf. Der Garten war verschwunden; sie war wieder in ihrem Gemach, und ihr war schrecklich kalt.
Aryn zwang ihre steifen Muskeln zur Bewegung und stemmte sich aus dem Stuhl heraus. Sie musste Lirith und Mirda finden und ihnen berichten, dass Königin Ivalaine wahnsinnig geworden war.
28
Nach dem Kampf gegen Feydrim und Phantomschatten wandte sich das Heer nach Norden. Es hielt sich nahe an die zerklüfteten Hügel der Fal Erenn und marschierte direkt außerhalb der Grenzen von Perridon, um nicht Königin Inaras Erlaubnis einholen zu müssen, ihre Domäne betreten zu dürfen.
Nicht, dass Grace etwas dagegen gehabt hätte, die junge Königin und ihren Sohn zu besuchen. Sie hatte sie seit dem vergangenen Sommer nicht mehr gesehen, als sie alle auf Schloss Spardis dem Nekromanten Dakarreth entgegengetreten waren. Aber dank des guten Wetters und Tiras Manipulation der Entfernungen kamen sie schnell voran, und sie konnten sich den langen Umweg bis nach Spardis nicht erlauben.
Die Aufregung, die sie am Beginn der Reise verspürt hatten, war lange verflogen. Die letzten Reste waren zusammen mit den Feydrim und den Phantomschatten auf dem felsigen Hügel der Dun-Dordurun gestorben. In der Nacht herrschte im Lager Stille; das Bier war vor über einer Woche ausgegangen, und die Lebensmittelvorräte wurden streng rationiert. Bis nach Burg Todesfaust waren es noch viele Tage, und wenn sie dort eingetroffen waren, wer vermochte schon zu sagen, wie lange ihre Vorräte reichen mussten?
Vielleicht gar nicht so lange, Grace, wenn wir keine Möglichkeit finden, die Verteidigungsanlagen der Festung wieder in Gang zu setzen.
Aber sie hatten noch immer Hoffnung. Sie berührte den Lederbeutel an ihrer Taille, der die kleine weiße Steinscheibe enthielt, die sie in der Armlehne von Stuhl Malachor gefunden hatte. Die Männer um sie herum waren grimmiger als zuvor, von der Straße gehärtet, aber noch nicht von ihr ermüdet. Ihr Sieg gegen die Streitkräfte des Fahlen Königs in Dun-Dordurun hatten ihnen ein Selbstvertrauen gegeben, das ihnen vorher gefehlt hatte.
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