Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
und sie sah alles: Travis' letzte Begegnung mit dem Zauberer in Castle City, und die Art und Weise, wie der letzte Tropfen Blut – das Blut des Gottkönigs Orú –, den der Skarabäus enthalten hatte, auf seine Hand gefallen und in eine Wunde eingetreten war, sich mit seinem Blut vermischt und ihn verändert hatte.
Staunend ließ sie ihn los. »O Travis …«
»Zuerst hat mich Jack zu einem Runenmeister gemacht. Dann hat Krondisar mich vernichtet und erneut erschaffen. Jetzt das.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin, Grace. Ich weiß nicht mal, was ich bin.«
Wilde Entschlossenheit verdrängte Graces Überraschung. Sie nahm seinen Arm und verband die Wunde mit energischen Bewegungen, dann ergriff sie seine Hand. »Du bist der Mann, den wir lieben, und das wirst du auch immer bleiben.«
Travis lächelte sie an, aber der Ausdruck war so traurig, wie er schön war. »Manchmal weiß ich nicht, ob ich verflucht oder der glücklichste Mann auf der Welt bin.«
Grace spürte einen Blick im Rücken und schaute auf. Beltan stand ein Stück weit entfernt, aber seine grünen Augen waren auf Travis gerichtet.
»Der glücklichste«, sagte sie.
7
Drei Tage später saß Travis auf einer Mauer im Unteren Burghof und nahm die geringe Wärme der Wintersonne in sich auf. Auf der anderen Seite des Hofes kümmerten sich fünfzig Mann – Bauern, die der König zur Arbeit verpflichtet hatte – um die Trümmer des Wachturms. Sie arbeiteten seit dem Tag nach den Explosionen. Sie hatten das Schlosstor bereits freigeräumt und den Tunnel mit Balken abgestützt. Sämtliche Trümmer waren vom Hof entfernt worden, aber der Turm selbst war noch immer ein Haufen aus zerborstenem Stein.
In einer anderen Ecke des Burghofes arbeiteten noch mehr Männer daran, die Bresche in der Mauer zu reparieren, wo sich der Turm der Runensprecher befunden hatte. Von seinem Standort aus konnte Travis durch die Lücke in der Schlossmauer auf die winterliche Landschaft schauen. Am Horizont drängten sich dunkle Wolken; sie kamen noch nicht näher, aber sie sammelten sich.
Es war sinnlos. Die Arbeiter würden viele Monate brauchen, um die Lücke in der Mauer zu reparieren. Nur dass sie keine Monate hatten. Travis wusste nicht, wann die dunklen Wolken auf sie zukommen würden. Nur, dass es bald sein würde. Schließlich war der Winter seine Zeit.
Aber es ist nicht nur der Fahle König, der kommt.
Vani und Aldeth waren am Tag nach den Explosionen gegen Morgengrauen ins Schloss zurückgekehrt. Sie hatten den Duratek-Agenten namens Hudson nicht gefunden. Aber der Spinnenmann und die T'gol hatten in dem Dorf unterhalb von Calavere eine leere Hütte ausfindig gemacht, die Spuren eines hastigen Aufbruchs aufwies und einen Gegenstand, der ihnen fremd war, den Travis aber als Rolle schwarzes Klebeband identifizieren konnte. Aldeth hatte auf dem Hüttenboden drei verschiedene Arten von Fußspuren gefunden.
Aber wie hatte Duratek drei seiner Agenten von der Erde nach Eldh geschafft? Vielleicht hatte die Zusammenarbeit mit dem Zauberer auf der Erde sie weitergebracht. Eines der Tor-Artefakte war – wenn auch unvollständig – eine Zeit lang in ihrem Besitz gewesen. Zweifellos hatten sie es genau studiert, und wer vermochte schon zu sagen, wie viel Blut sie dem Elfen abgenommen hatten? Sie konnten Liter davon irgendwo in einem unterirdischen Labor eingefroren haben.
Sie sind klug, Travis, und sie lernen. Zuerst konnten sie Gewehre rüberschicken. Jetzt Menschen. Was kommt als Nächstes, ganze Heere?
Nein, sie konnten die Technologie noch nicht perfektioniert haben. Sonst wären sie bereits mit einer Streitmacht hier gewesen. Aber sie bereiteten sich auf eine Invasion vor, so viel war klar. Am Vortag hatte Boreas einen Brief von Königin Inara erhalten, in dem sie von einer seltsamen Erschütterung berichtete, die eine von Peridons Grenzfestungen zerstört hatte. Das bedeutete, dass die Duratek-Agenten, die Calaveres Türme gesprengt hatten, nicht das einzige Vorauskommando waren, das man nach Eldh geschickt hatte. Es gab noch andere, und ihre Aufgabe bestand darin, Chaos und Verwirrung zu stiften, die Domänen und ihre Menschen zu schwächen, damit Durateks Hauptstreitmacht bei ihrem Übergang ein leichter Sieg gewiss war.
Aber der Konzern würde entdecken, dass er um die Reste kämpfen würde. Der Fahle König sammelte erneut seine Kräfte und bereitete sich auf das Kommen seines Herrn vor, dem Alten Gott, Mohg, der Herr des
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