Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
Die Lokalnachrichten – die übliche Parade aus Unruhe, Gewalt und Katastrophen.
Travis ignorierte sie und schaute auf seine Hände nieder. Eine schmale Narbe verlief quer über den rechten Handrücken – die einzige Erinnerung an die Wunde, durch die der Tropfen Blut aus dem Skarabäus in ihn eingedrungen war. Die Macht der Blutzauber floss nun in seinen Adern, zusammen mit der Macht der Runenmagie. Travis vermochte nicht zu sagen, was das bedeutete, nur dass es eine Möglichkeit geben musste, diese Macht auch zu benutzen. Blutzauberei hatte ihre Quelle in den Morndari, den unersättlichen, körperlosen Geistern, die das Nichts zwischen den Welten bevölkerten. Ihre Macht bestand in der Zerstörung, dem Verschlingen; das hatte er in dem Moment gelernt, in dem er dem Dämon in der Etherion gegenübergetreten war – einem Morndari, der in einen Felsen gebunden gewesen war. Bestand die Möglichkeit, Zauberei einzusetzen, um das zu erreichen, was er vorhatte?
»… und ihr Bericht über weitere angebliche Fälle von Vermissten unter den Obdachlosen«, quäkte eine blecherne männliche Stimme.
Travis schaute auf. Der Barkeeper hatte den Ton noch lauter gestellt. Anna Ferraro, Reporterin des Lokalfernsehens mit Rehaugen, war auf dem Bildschirm zu sehen; sie stand vor der Union Station in der Innenstadt. Travis war schon zuvor aufgefallen, dass Männer dazu neigten, in allem innezuhalten und mit glasigem Blick auf den Bildschirm zu starren, wenn Anna Ferraro dort auftauchte, auch wenn er die Attraktion nicht ganz verstand. Sie war auf eine dünne und rehhafte Weise hübsch, aber da war etwas an ihr – eine berechnende Art und Weise –, das ihn kalt ließ. Sie berichtete über Tod und Katastrophen mit einem kalten Funkeln in den Augen, so als könnte sie während ihres Berichts die Einschaltquoten klettern sehen. Der Barkeeper starrte gebannt auf den Bildschirm, und Travis nutzte die Gelegenheit, die Schüssel zu leeren und eine weitere Hand voll Erdnüsse in die Jackentasche zu schmuggeln.
Im Fernsehen begann Anna Ferraro ihren Bericht mit offensichtlichem Vergnügen. »Das ist richtig, Dirk. Ich stehe heute Abend in der Innenstadt von Denver, wo ich mit Menschen spreche, die kein Zuhause so wie ich oder Sie haben, die tatsächlich auf der Straße leben.« Sie rümpfte die Nase zu einem Ausdruck, der zugleich mitleidsvoll und angewidert war. »Aber es ist nicht nur die Kälte, um die sich diese Männer und Frauen in dieser Nacht sorgen. Viele Obdachlose erzählen Geschichten, dass in letzter Zeit andere, die auf der Straße leben, spurlos verschwunden sind. Unbestätigte Berichte sprechen von mindestens sieben Vermissten, und die Anzahl könnte höher sein. Jedoch hat die Polizei von Denver noch nichts unternommen.«
Sie senkte das Mikrofon und sah erwartungsvoll in die Kamera. Nach einem unbeholfen langen Augenblick blendete der Bericht zu dem Video eines Polizeibeamten um – der Einblendung unten auf dem Bildschirm zufolge ein Sergeant Otero –, der vor dem Polizeipräsidium von Denver stand und dem man ein Mikrofon vor die Nase hielt. »… und wir unternehmen nichts, weil offiziell keinerlei Vermisstenmeldungen eingereicht wurden«, sagte er.
Ein Schnitt auf Anna Ferraro, auf deren stark geschminktem Gesicht ein schüchterner Ausdruck lag. »Aber entspricht es nicht den Tatsachen, dass eine Adresse und eine Telefonnummer erforderlich sind, um solch eine Meldung einzureichen? Und Obdachlose haben keine Adressen, wie Sie sicherlich wissen.«
Der Sergeant kniff offensichtlich verärgert die Augen zusammen. »Wir nehmen alle Berichte sehr ernst. Aber im Augenblick gibt es keinen Beweis, dass tatsächlich irgendjemand verschwunden ist …«
Nach seinen Lippenbewegungen zu urteilen, hatte der Sergeant noch mehr gesagt, aber seine Worte wurden ausgeblendet, und das Bild wechselte wieder zu Anna Ferraro vor der Union Station.
»Sie haben es gehört«, sagte sie triumphierend. »Im Augenblick weigert sich die Polizei, in dieser Angelegenheit zu helfen, also können die Obdachlosen Denvers nichts tun, außer sich in dieser Nacht darüber zu wundern.« Sie schenkte der Kamera einen langen Blick. »Und sich zu fürchten. Das war Anna Ferraro aus der Innenstadt von Denver. Ich gebe zurück zum Sender, Dirk.«
Dirk, der Anchorman, sah überrascht aus, dann lächelte er leer in die Kamera. »Danke für diesen faszinierenden Bericht Anna. Als Nächstes kommt ein Exklusivinterview mit der stellvertretenden
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