Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
Bürgermeisterin von Denver. Sie wird uns berichten, wie der Test des neuen Sicherheitsprogramms, das vergangenen Monat in Zusammenarbeit mit dem Duratek-Konzern gestartet wurde und die Stadt sicherer als je zuvor macht, verlaufen ist. Danach kommt der Wetterbericht. Wie es aussieht, wird es die nächsten Tage kalt, kalt, kalt, also …«
Der Barkeeper stellte den Fernseher wieder leiser. Er drehte sich um und sah die leere Erdnussschale vor Travis misstrauisch an, dann tauschte er sie gegen eine volle aus. Travis lächelte und nahm einen Schluck von dem geschmacklosen Bier.
Er wusste nicht, ob die Berichte über das Verschwinden von Obdachlosen stimmten oder nicht. Im Obdachlosenasyl hatte er letztens eine Gruppe von Männern belauscht, die sich flüsternd über andere unterhielten, die verschwunden waren, aber die Geschichten stammten alle aus zweiter oder dritter Hand. Ob die Gerüchte nun stimmten oder nicht, eines wusste Travis mit Sicherheit. Er war in Denver nicht sicher. Das war keiner.
Jeden Tag posaunten die Zeitungen die neuesten Schießereien, Kriege und biologischen Bedrohungen hinaus. Die Leute lebten in ständiger Angst – Angst vor allem und jedem, das seltsam oder fremd war. Wenn Leute Angst hatten, dann waren sie nur allzu bereit, ihre Freiheit gegen die Illusion von Sicherheit einzutauschen. So wie es die Bürger von Denver getan hatten, indem sie diesen Vertrag mit Duratek unterschrieben hatten. Sie glaubten, jetzt vor den Monstern sicher zu sein, aber das war ein Irrtum. Sie hatten die Monster mit sich zusammen im Zimmer eingeschlossen.
Travis konzentrierte sich wieder auf den Fernseher. Die Nachrichten waren vorbei, und jetzt war dort ein Mann im weißen Anzug zu sehen. Sein schwarzes Haar war aus der Stirn gekämmt und mit Haarspray zu einer funkelnden Welle frisiert. Der Ton war zu leise, um hören zu können, was er sagte, aber er wanderte auf der Bühne auf und ab und gestikulierte mit steifer Energie. Hinter ihm stand ein Chor aus jungen Männern und Frauen mit leeren Gesichtern aufgebaut, allerdings sang er nicht.
Das Bild blendete um auf ein hingerissenes Publikum. Münder standen offen, Tränen strömten Gesichter herunter. Die Kamera glitt über die sitzende Menge, und Travis sah Glas und bearbeitetes Metall, das sich zu einer Decke in solch Schwindel erregender Höhe erhob, das sie ihn an die Kuppel der Etherion in Tarras erinnerte.
Das war also die Stahlkathedrale, nur von innen gesehen. Travis war sich gar nicht bewusst gewesen, wie groß sie tatsächlich war. Das Publikum musste aus mindestens zweitausend Menschen bestehen. Das Bild wechselte wieder zu dem Mann auf der Bühne und ging so nahe an ihn heran, dass Travis sehen konnte, wie sein dick aufgetragenes Make-up Sprünge bekam, als er sprach. Der Mann erschien zugleich aufgeregt, wütend und triumphierend. Unten auf dem Schirm erschien eine computererzeugte Schrift: Sage Carson, Pastor der Stahlkathedrale.
In gewisser Weise erinnerte der Pastor Travis an Bruder Cy. Beide waren hoch gewachsen und beinahe schon dürr, und beide wussten offensichtlich, wie sie das Publikum in ihren Bann schlagen konnten. Allerdings war Sage Carsons weiße Kleidung im Gegensatz zu Bruder Cys staubigem schwarzen Beerdigungsanzug modern und hervorragend geschneidert. Und während Bruder Cys wütende Predigten immer von Trauer abgemildert gewesen waren, wusste Travis, dass dieser Sage Carson lediglich eine Botschaft verkündete: Tu, was ich sage, oder sei verdammt. Dazu musste er ihn nicht einmal hören. Den Gesichtern im Publikum nach zu urteilen, fraßen sie ihm aus der Hand. Tief im Inneren gefiel es den meisten Leuten, das zu tun, was man ihnen sagte. Es war so viel einfacher, als selbst nachzudenken.
»Bestellen Sie nun noch eines oder nicht?« Die knurrende Stimme des Barkeepers ließ Travis zusammenzucken.
»Nein, tut mir Leid«, murmelte er.
Sein Glas war leer. Er musste den letzten Schluck in Gedanken versunken ausgetrunken haben. Er stand auf und schob die Hände in die Taschen. Eine Erdnuss fiel heraus, und der Barkeeper warf ihm einen bösen Blick zu. Travis eilte in Richtung Tür.
»Kommen Sie ja nicht wieder, verstanden«, rief ihm der Barkeeper hinterher.
Travis eilte in die kalte Nacht hinaus. Die Tür zur Bar schloss sich hinter ihm: ein weiterer Weg, der ihm nun versperrt blieb.
Aber der Weg ist nicht versperrt. Du könntest nach Eldh zurückkehren. Dazu musst du nur die Steine benutzen. Sie haben die Macht, dich
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