Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
das Messer verschwand in der Finsternis, gefolgt von einem Platschen, als es im eisigen Wasser des Platte landete.
»Was zum Teufel …« Der Schatten vor ihm schüttelte die Hand, als wäre sie gestochen worden.
Travis fühlte, wie die Arme um ihn etwas schlaffer wurden. Das war seine Chance. Er stieß die Ellbogen zurück und wurde mit einem überraschten und schmerzerfüllten Grunzen belohnt. Ein Ruck nach vorn befreite ihn endgültig, aber seine Beine waren zittriger, als er dachte. Er stolperte und fiel auf die Knie.
»Sari«, keuchte er und presste beide Hände auf den Boden.
Die Rune war schwach, genau wie die Rune des Eisens. Die Steine waren in dem Eisenkästchen versiegelt; ihre Macht konnte ihm nicht helfen. Aber die Magie reichte aus, um ein Dutzend Kiesel vom Boden zu heben und sie durch die Luft sausen zu lassen. Dumpfe Geräusche verkündeten, dass Steine auf Haut auftrafen, und Schmerzenslaute ertönten.
Travis kam wieder auf die Füße. Seine Augen hatten sich endlich auf das vorhandene Licht eingestellt, und er konnte die beiden Männer sehen. Der, der das Messer gehalten hatte, drehte sich jammernd im Kreis; er war ein kleiner, dicker Mann mit runden Schultern. Der andere, der Travis von hinten festgehalten hatte, war hoch gewachsen und so dürr wie eine Vogelscheuche, seine langen Arme wirbelten wie Windmühlenflügel umher und versuchten, die fliegenden Steine abzuwehren. Travis wusste, dass er hätte rennen sollen, stattdessen musste er lachen.
»Hör auf damit!« Das schrie der kleinere der Männer mit schriller, atemloser Stimme. »Hör auf, mit Steinen zu werfen!«
»Habe ich schon«, sagte Travis. Der Magie war verblasst und hatte bloß ein Jucken in seiner rechten Hand hinterlassen.
»Oh.« Der kleine Mann blieb stehen.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte der andere Mann und ließ die langen Arme an den Seiten herunterfallen. Seine Stimme hatte einen stockenden, dabei aber durchaus melodischen Tonfall. »Du hast die Steine nicht geworfen. Du hast etwas gesagt, und sie sind von selbst geflogen.«
Travis machte einen Schritt zurück. Er sollte hier verschwinden; diese Männer waren Killer. »Warum habt ihr mich mit dem Messer bedroht?«
Der kleine Mann spuckte aus. »Na, warum schon, du Idiot! Wir haben mit dir gespielt, das war alles … wir wollten dir einen kleinen Schrecken einjagen, weil du an unseren Platz wolltest, dich vielleicht auf die Idee bringen, dass du der Nächste bist, der verschwindet.«
»Ich habe dir doch gesagt, dass das eine blöde Idee ist«, sagte der große Mann.
»Es ist ja wohl nicht meine Schuld, wenn dieser Blödmann keinen Sinn für Humor hat.« Der kleine Mann warf Travis einen bösen Bück zu. »Du musstest ja nicht gleich den Psycho raushängen lassen.«
Travis schob die rechte Hand in die Tasche. »Tut mir Leid. Ich wollte nicht …« Jeder Erklärungsversuch war sinnlos. »Tut mir Leid.« Er drehte sich um und setzte sich in Bewegung.
»Warte!« Schwere Schritte knirschten auf dem Kies hinter ihm. »Warte doch mal. Du musst nicht gehen.«
Travis zögerte, dann drehte er sich wieder um. Der große Mann sah ihn aus milden braunen Augen an. Sein langes schwarzes Haar war voller grauer Strähnen. »Es ist kalt heute Nacht, aber das Viadukt hält den Wind größtenteils ab. Du solltest bei uns bleiben.«
Der andere Mann führte auf dem Kies einen wütenden Tanz auf. »Scheiße, was soll das denn, Marty?«
»Vielleicht bringt er ja ein Feuer zu Stande«, gab Marty, der Hochgewachsene, zurück. Er lächelte Travis zu. »Wir hatten kein Glück. Das Holz ist so kalt, dass es kein Feuer fängt.«
»Und warum sollte ich es schaffen?«
»Du siehst wie ein Mann aus, der ein Feuer entzünden kann«, sagte Marty, dann drehte er sich um und ging auf das Viadukt zu.
Travis stand still da, unsicher, was er von diesen Worten halten sollte.
Du solltest gehen. Du kannst keinem trauen – du kannst nicht wissen, wer für Duratek arbeitet.
Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, da pfiff ein kalter Wind über den Fluss und schnitt durch seinen Parka. Er holte tief Luft, dann nahm er den Kopf herunter und begab sich wieder in das Dämmerlicht des Viadukts.
Unter der Brücke gab es eine Nische in der Stützmauer aus Beton, dort hatten die Männer ihr provisorisches Lager aufgeschlagen. Allerdings war es alles andere als warm; ihr Atem bildete erstarrte Geister in der Luft. Marty stellte sich zusammen mit seinem Partner vor. Der Name des
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