Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
leben.
Genau wie du, Grace.
Am nächsten Tag erzählte ihr Durge, dass man diesen Wald den Winterwald nannte. Er erstreckte sich über den ganzen Norden Falengarths, und einst hatte alles innerhalb seiner Grenzen zum Königreich von Malachor gehört. Vielleicht hatte sie sich darum hier weniger gefürchtet; vielleicht war sie nach Hause gekommen.
Dann waren sie auf den Pylon gestoßen, und das Gefühl von Frieden war verschwunden.
Er war beschädigt, sonst hätten sie seinen heimtückischen Einfluss bereits wie zuvor gespürt. Aber hier schien sich Dunkelheit über den Wald zu legen, obwohl der Himmel über den blattlosen Zweigen der Valsindar so klar wie ein Saphir war.
Senrael spürte ihn als Erste. Die Alte warnte Grace, die den Spinnenmännern befahl, die Gegend zu erkunden – vorsichtig. Aldeth kehrte wenige Minuten später zurück; er hatte den Pylon auf einer nahe liegenden Lichtung entdeckt. Tarus gab seine Befehle, und das Heer schwenkte nach Osten, um das Relikt in einem weiten Bogen zu umgehen. Glücklicherweise marschierte der größte Teil der Streitmacht eine Viertelmeile hinter ihnen und kam deshalb nie nahe genug heran, um Anlass zur Sorge zu geben.
»Ich bin mir nicht sicher, was mit dem Pylon passiert ist«, sagte Aldeth. »Ich wollte nicht zu nahe an ihn heran, aber ich hatte den Eindruck, dass der Stein gesprungen ist.«
Durge strich sich über den Schnurrbart. »Vielleicht von Jahren der Kälte und des Eises und des Windes.«
»Oder doch wegen dem hier«, sagte Samatha und kam heran. Sie hielt ein Schwert in die Höhe. Die Klinge war wenige Zentimeter unterhalb des Griffs abgebrochen, aber es war genug übrig geblieben, um zu sehen, dass sie aus pechschwarzem Stahl geschmiedet gewesen war.
Grace nahm das zerbrochene Schwert mit zitternder Hand entgegen. »Schwarze Ritter. Sie haben den Pylon zerbrochen.«
Paladus sah sie an. »Warum?«
Der Stahl fühlte sich kalt auf ihrer Haut an, aber sie ließ nicht los. »Kelephon will den Fahlen König betrügen. Er will die Imsari für sich selbst haben.«
»Er muss mächtige Runen gesprochen haben, damit sich seine Ritter dem Pylon nähern konnten«, sagte Meister Graedin. Er fröstelte. »Vermutlich haben sie ihn zerbrochen, damit der Fahle König nicht ihr Kommen und Gehen beobachten kann.«
»Was bedeutet, dass Kelephon uns unbeabsichtigterweise einen Gefallen getan hat«, meinte Durge. »Denn der Fahle König wird auch uns nicht sehen.«
Entweder stimmte Durges Theorie, oder das Glück und Tiras Magie beschützte sie auch weiterhin, denn in den folgenden beiden Tagen begegnete ihnen nichts Bedrohlicheres als silberpelzige Eichhörnchen, die in den Dämmernadel-Bäumen lebten und sie beschimpften, während sie vorbeimarschierten.
Dann wichen die Bäume des Winterwaldes einer windumtosten Ebene am Fuß einer zerklüfteten Bergkette, und zwar so plötzlich, als hätte man einen Vorhang zur Seite gezogen. Am Eingang eines von hohen Felsen eingeschlossenen Tals standen zwei Megalithe. Sie ritten an den Steinen vorbei und folgten einer kaum erkennbaren Straße den Hohlweg hinauf. Und als über ihnen die Adler kreisten, sah Grace endlich ihr Ziel.
»Sieht nicht gerade toll aus«, sagte sie.
Großmeister Oragien lächelte sie vom Rücken seines Maultiers an. »Burg Todesfaust ist fast tausend Jahre alt, Euer Majestät. Wir sollten froh sein, dass sie überhaupt noch steht.«
Während sich der größte Teil des Heeres langsam ins Tal schob, ritt Grace mit denen voraus, die ihre vertrauenswürdigsten Gefährten geworden waren: Durge und Tarus, Aldeth und Samatha, Kommandant Paladus, Meister Graedin und Großmeister Oragien und die Hexen Senrael und Lursa. Mit ihnen an ihrer Seite fühlte sich Grace, als könnte sie sich allem stellen.
Nun, jedenfalls fast allem.
»Wir sind so was von zum Untergang verurteilt«, murmelte sie und zügelte ihr Pferd. Dann zuckte sie zusammen und schaute die anderen an. »Tut mir Leid. Das sollte bloß ein Gedanke sein.«
»Entschuldigt Euch nicht, Euer Majestät«, sagte Tarus mit einem gequälten Blick. »Ich glaube, Ihr könntet Recht haben.«
Sie stiegen aus den Sätteln und suchten sich auf dem steinigen Boden einen Weg zur Festung. Tira lief neben ihnen her und sprang mit nackten Füßen von einem Stein zum anderen.
Todesfaust saß an der höchsten Stelle des Tals; hier rückten die Felswände aufeinander zu, bis sie kaum mehr als hundert Schritte voneinander entfernt waren. Grace war kein
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