Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
als würde ein Licht in der Finsternis leuchten. Die Männer lieben sie. Sie würden für sie ihr Leben geben.«
»Ich glaube, sie würde lieber wollen, dass sie es behalten«, erwiderte Durge. Er dachte über die Worte des Ritters nach und rechnete nach. »Dann können wir die Stellung nicht mehr lange halten. Noch zwei Angriffe, vielleicht auch drei. Danach wird unsere Verteidigungsstreitmacht auf der Mauer zu schwach sein. Wir haben kein Naphta mehr, das wir auf sie herabregnen lassen können, und wir können nicht genug Steine herunterwerfen, um sie alle zu zerschmettern. Wir werden ihre Leitern nicht so schnell umwerfen können, wie sie sie anlegen. Wenn das passiert, ist alles verloren.«
Durge wusste, dass er wie alle Embarraner den Ruf hatte, übertrieben pessimistisch zu sein, aber er glaubte nicht, dass er die Fakten übertrieb, und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, tat Sir Tarus das auch nicht.
»Kommandant Paladus und Sir Vedarr haben so ziemlich das Gleiche gesagt. Wenn König Boreas und seine Krieger nicht bald eintreffen, wird der Feind die Festung überrennen. Der Fahle König wird in Falengarth einreiten. Niemand wird ihn aufhalten können.«
Wie um Tarus' Worte zu unterstreichen, schossen noch mehr Flammen in den Himmel und tauchten die Wolken in ein scheußliches Licht. Man konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber einen Augenblick lang glaubte Durge, spindeldürre Umrisse lange Schatten durch das Tal werfen zu sehen.
»Kommt«, sagte er, »wollen wir den Wünschen unserer Königin gehorchen.«
Aber als Durge in der Dunkelheit seiner Unterkunft auf seiner Pritsche lag, konnte er die Augen nicht schließen. Stattdessen starrte er in die Finsternis, und es hatte den Anschein, als könnte er dort Dinge sehen. Er sah die grün verfärbten Feuer und die Umrisse von niederstoßenden Raben, und in ihrer Mitte war eine gewaltige Gestalt, die in schwarzen Stahl gekleidet war. Stacheln ragten aus der Rüstung und von dem riesigen, gehörnten Helm. Um den Hals trug der Reiter eine Eisenkette, in der ein eisblauer Stein funkelte. In einem leblosen Gesicht brannten Augen wie Kohlen. Die Gestalt griff mit einer bleichen Hand zu …
Durge setzte sich auf; trotz der bitteren Kälte schwitzte er. Es war ein Traum, es konnte nichts anderes sein. Er musste eingeschlafen sein. Sein Puls donnerte in seinen Ohren. Er griff unter sein Wams, berührte seine Brust. Sein Herzschlag war schnell, aber stark und regelmäßig. Doch wie lange noch?
»Es ist Zeit, Durge von Embarr«, flüsterte er in die Dunkelheit. »Du solltest das tun, was der Mann von Calavan getan hat. Du solltest dich von der Mauer stürzen, bevor es zu spät ist.«
Lady Grace glaubte, er wüsste nichts von dem Eisensplitter in seiner Brust. Aber so alt er auch geworden war, sein Gehör war noch immer scharf. Er hatte Grace und die Hexe Mirda auf Calavere belauscht; er wusste, was man ihm vor zwei Wintersonnenwenden angetan hatte, aber die vielen Meilen hatte er nichts getan, was in Grace einen Verdacht geweckt hätte.
Diese Verschlagenheit nagte an ihm, aber sie hatte ihn nie gefragt, was er wusste, und darum musste er es auch nicht sagen, und der Gedanke, dass er nicht wusste, was mit ihm geschah, schien ihr die Angelegenheit erträglicher zu machen. Das war Grund genug, es vor ihr zu verbergen.
Oder war es etwas anderes, das ihn zum Schweigen veranlasste?
Durge von Steinspalter, was bist du doch für ein Narr. Was für ein stolzer alter Narr.
Vor zwei Wintersonnenwenden hatte er sich mit dem Glauben zufrieden gegeben, die Feydrim erschlagen zu haben, die ihn in jener Nacht in dem Vorraum angegriffen hatten – auch wenn er sich hinterher nicht mehr genau erinnern konnte, wie er das geschafft hatte. Aber es war nicht sein Erinnerungsvermögen, das ihn in dieser Nacht im Stich gelassen hatte; es war sein Herz.
Du hättest in dieser Nacht sterben sollen, Durge. Und vielleicht bist du das sogar, bevor sie den Splitter in dich hineingeschoben haben.
Aber die hinterhältige Magie hatte ihn am Leben gehalten. Dass sie ihn nicht sofort übernommen hatte, war bloß ein kläglicher und bitterer Trost. Seit damals hatte sich der Splitter beharrlich auf sein Herz zugearbeitet. Wenn er das schwache und sterbliche Organ schließlich erreichen würde, würde er ein Schicksal erleiden, das schlimmer als der Tod war. Er würde ein Geschöpf des Bösen werden, ein Sklave des Fahlen Königs.
Seltsamerweise konnte er sich das nicht so richtig
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